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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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ausgeborgt. Oder bei der Auskunft nachgefragt, so wie Deininger am Montagabend.
    »Ist Ihnen klar, in welche Situation Sie mich gebracht haben? Und letztlich auch Frau Deininger?«
    »Ehrlich gesagt, nein. Ging es zwischen Ihnen beiden denn nicht um diesen ominösen Brief an Ihre Doktorandin?«
    »Doch, Herr Koller, genau darum! Um eine Angelegenheit, die eines gewissen Fingerspitzengefühls bedarf. Da kann ich keinen übermotivierten Privatermittler gebrauchen, der sich in seiner Rolle als Provokateur gefällt.«
    »Mit gefallen hat das nichts zu tun. Es ist Teil meines Berufs, dass ich ab und zu auf Konfrontationskurs gehe, wenn ich das Gefühl habe …«
    »Schmarrn! Ich scheiß auf Ihren Konfrontationskurs! Diese Provokationen sind bloß eine Masche, und zwar die billigste und provinziellste, die sich denken lässt. Warum haben Sie sich nicht wenigstens den Hinweis auf die neuen Fakten verkniffen? Dass die verschollenen Butenschön-Akten möglicherweise wieder aufgetaucht sind, muss unbedingt geheim bleiben, das wissen Sie doch.«
    »Ganz meine Meinung. Deshalb habe ich sie mit keinem Wort erwähnt.«
    »Natürlich nicht«, höhnte er. »Stattdessen eine Andeutung nach der anderen! Ist Ihnen nicht aufgefallen, wie hellhörig Brouwer plötzlich wurde?«
    »O doch, allerdings.«
    »Sehen Sie. Also halten Sie sich in Zukunft zurück, Sie Trampel.«
    Stille senkte sich wieder über den Odenwald. Ich steckte das Handy ein. Da konnte man mal sehen, wie trügerisch das Wetter war. Mit atmosphärischen Störungen musste immer gerechnet werden. In höheren Lagen Niederschläge bis hin zu Beleidigungen.
    Ich entschied mich für den Weg nach Heiligkreuzsteinach. Gut, war ich halt ein Trampel. Zu klobig für die Subtilitäten der Akademikerelite. Trampel, strampel. Ein Dr. jur. und ein Prof. hist. med. beim Schneckenschlürfen und Salataufpieksen. Dazwischen ein verkaterter Nichtwissenschaftler. Die Elite und der Trampel. Ein Nobelpreisträger, tusch!, und eine hochgelobte Doktorandin. Da lobte ich mir den Studienabbrecher und Kleinbanker Michael Deininger, dessen treuherziger Dackelblick keine Hundeleine weit reichte.
    Apropos nicht weit: Das ließ sich auch über Schnakenbach sagen. Ein Bärchenzitat von gestern Abend kam mir in den Sinn: hübsches kleines Kaff; lohnt sich, mal vorbeizuschauen. Ja, warum eigentlich nicht? Und sei es nur aus einem diffusen Solidarisierungswunsch heraus.
    Freihändig fahrend, konsultierte ich den Streckenplan, eine kleinkopierte, zusammengefaltete Landkarte. Zwischen mir und der Heimat der Deiningers standen lediglich ein Höhenzug und knapp 20 Kilometer. Genau die richtige Herausforderung für heute.
    »Und von dir will ich nichts hören«, befahl ich meinem Brummschädel. Eine Dreiviertelstunde später war ich vor Ort.
    Schnakenbach. Auch wenn Freund Deininger mich dafür steinigte: Beim Wettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden« hatte das Nest keine Chance. Oder gerade doch, wenn man die Betonung auf das ›soll‹ legte. Die Umgebung konnte nichts dafür: ein sanft geschwungener Talkessel, der sich nach Südosten öffnete, die Hänge waldgekrönt, unterhalb Streuobstwiesen, Felder, ein versteckter Bachlauf. Aber sonst? Der Geruch von Holzfeuern hing in der Luft. Über einen der Hänge kroch ein Neubaugebiet wie ein gefräßiger Pilz. Klar, den Dossenheimern drüben in der Rheinebene wollte man in nichts nachstehen. Durch das Dorf führte eine einzige Straße, die sich um ein Kirchlein mit marodem Dach schlängelte, bevor sie die Höhe erklomm und weiter ins Herz des Odenwalds führte.
    Von dort oben näherte ich mich Schnakenbach. Erst über einen asphaltierten Feldweg, dann die Verbindungsstraße hinunter, fuhr an Wiesen vorbei, auf denen rostbraune Kühe grasten, sah das Ortseingangsschild vor mir. Direkt dahinter eine Rechtskurve   –   und ein unfreiwilliger Halt. Quer über der Straße lag eine Art Schlagbaum, rot-weiß geringelt und mit Bändern geschmückt. Nicht zu vergessen das gute Dutzend Jugendlicher, die sich am Schlagbaum oder an Bierflaschen festhielten, um nicht umzukippen. Als sie mich sahen, fingen sie an zu johlen, wie man nur im Odenwald johlt.
    Kerwe, herzlichen Glückwunsch!
    »Wasn das?«, rief einer. »’n halbes Auto?«
    »Ulle!«, ein anderer. »Ulle von der Telekom, und der braucht ’n Schluck ausser Pulle!«
    Ich hörte noch, wie sie sich über den Reim Ulle   –   Pulle amüsierten, aber da hatte ich bereits ein Ausweichmanöver eingeleitet. Der

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