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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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selbstgebastelte Schlagbaum, der die Straße überspannte, ließ auf beiden Seiten das Trottoir frei. Rechterhand standen die Jungs zu dritt, dafür gab es links außen eine Lücke. Den Schwung der Bergabfahrt ausnutzend, beschrieb ich einen Bogen, um das Hindernis auf dem Bürgersteig zu umfahren.
    Das gefiel dem Schnakenbacher Nachwuchs überhaupt nicht.
    »Hey, hey«, gellten die Rufe, dann die Aufforderung: »Haltet den auf! Der will abhauen!«
    Na, und ob ich das wollte! Eine Hand grapschte nach mir, verfehlte mich aber. Ich war schon auf dem Bürgersteig und am Schlagbaumende vorbei, als ein anderer Jüngling unverhofft aus dem Gebüsch gestürzt kam, die Hose noch offen, Entschlossenheit im glasigen Blick. Mit beiden Händen krallte er sich in meiner Jacke fest, wurde ein paar Meter mitgerissen, bevor er auf die Schnauze fiel. Auch mich brachte der Übergriff aus dem Gleichgewicht. Ich kippte nach rechts und konnte mich mit dem Fuß gerade noch abfangen. Da ich eh schon halb vom Rad war, sprang ich ganz ab, packte den Helden am Schlafittchen und stieß ihn zurück in die Büsche, aus denen er gekommen war.
    »Was bist denn du für ein Freibeuter?«, brüllte ich ihn an. Dass mich der Kerl mit verpinkelten Pfoten angefasst hatte, machte mich mindestens so sauer wie alles andere. Hoffentlich lag er nun in seinem eigenen Wasser!
    Er lag jedenfalls nicht gerne da unten, aber sich aufzurappeln war in seinem Zustand keine leichte Übung. Lieber etwas Unverständliches brummen und den Kopf schütteln. In seinem Hosenlatz blinkte es. Bis der Junge wieder stand, war die Kerwe vorbei.
    Doch da gab es ja noch die anderen. In Sekundenschnelle hatten sie mich umringt und bedachten mich mit echten Kerweknüffen: halb drohend, halb kumpelhaft. So nicht, Freundchen! Man wird doch noch ein Späßchen machen dürfen?
    »Geht’s euch noch gut?«, herrschte ich sie an. »Finger weg!«
    »Und du?«, blaffte einer zurück. »Was fällt dir ein, den Hanno umzuhauen? Dassn ganz Lieber, klar?«
    »Ja, so lieb, dass er mich vom Rad holt, in voller Fahrt! Ist das bei euch in Schnakenbach so Sitte?«
    »Genau. Sitte. Alter Kerwebrauch.« Die anderen nickten.
    »Wegezoll«, erklärte ein Dickerchen, das Michael Deininger entfernt ähnlich sah. »Wird von allen Durchreisenden erhoben, schon seit dem Mittelalter. Der Schnakenbacher Kerwegroschen. Nie gehört?«
    »Nein!«
    »Echt nicht? Kennt doch jeder hier. Ey, das ist ein uralter Dingens, den gibt’s schon ewig, und wir dürfen das. Die Polizei weiß Bescheid.«
    »Ach, und da dürft ihr auch Leute vom Rad holen, einfach so?«
    »Wenn einer dermaßen bescheuert fährt! Die anderen Biker haben alle angehalten.«
    »Die hatten ja auch Helme an«, erinnerte sich sein Nebenmann.
    »Das stimmt!«, rief der Typ, der als Erster nach mir gegriffen hatte. »Aber der hier wär mir fast übern Fuß drüber gefahren. Übern rechten, und den brauche ich doch beim Kerwespiel morgen!«
    »Schieß halt mit links«, meinte einer und klopfte ihm auf den Rücken.
    »Ums Gewinnen geht’s da eh nicht!«, lachte das Dickerchen. Der Rest fiel ein.
    Ja, der Gedanke an die Fußballschlacht gegen einen übermächtigen, weil nüchternen Gegner sorgte ringsum für Erheiterung. Nicht bei mir. Ich hätte ihnen noch immer gerne die Odenwälder Fresse poliert, auch wenn sie gar keine bösen Absichten hegten. Der Alkohol diktierte ihre Handlungen und das, was sie für Brauchtum hielten. Ein Wochenende lang war ihre Welt in den Nebel der Seligkeit getaucht, und wenn da ein Nichtschnakenbacher drauf pfiff, kratzten sie ihr bisschen Testosteron zusammen, pumpten den Oberkörper auf, riskierten eine dicke Lippe. Hey, Alter, das hier is Kerwe, verstehste? Sie rochen nach Schnaps und Bier, der eine lallte beim Reden, der nächste schielte allerliebst. Das Dickerchen versuchte es auf die freundschaftliche Tour, legte mir die Hand auf die Schulter und ließ sie dort liegen, viel zu lange. »Gumma«, sagte der Kerl versöhnlich. »Gumma, so läuft das halt am Kerwefreitag in Schnakenbach. Jeder, der vorbeikommt, schmeißt einen Euro oder zwei innie Büchse, und schon darf er weiterfahren.«
    »Aber erst, nachdem er einen mit uns getrunken hat«, rief der Junge, der vorhin ein gutes Wort für den Pinkelfritzen eingelegt hatte. Er hielt mir eine Schnapsflasche vor die Nase.
    »Bleib mir weg mit dem Zeug«, giftete ich. Gleich wurden sie wieder biestig, rückten näher an mich heran, bliesen mir ihren Atem ins Gesicht: grunzende

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