Butenschön
sich eine Gründerzeitvilla, die mit ihren Simsen und Bögen und Balustraden dem Kaiserreich architektonisch nachtrauerte. Sommers schlummerte sie im Schatten von Platanen, deren Laub jetzt im Herbst die Rhododendronbüsche dekorierte. Natürlich war die Villa nicht Brouwers Wohnhaus, und er musste sie mit den Kollegen seiner Sozietät teilen. Trotzdem, die Botschaft war eindeutig: Was ein Nobelpreisträger kann, kann ich schon lange.
»Brouwer, Vitasek & Partner« stand neben der Gartentür. Spezialgebiete Erb- und Steuerrecht. Ich hielt die Klinke in der Hand und zögerte. Zögerte, weil ich ins Grübeln geraten war. Nicht über Brouwer und nicht über seine Partner, sondern über ein Auto. Wahrscheinlich gab es jede Menge Pkw mit österreichischem Kennzeichen in Heidelberg. Aber mussten sie ausgerechnet vor der Kanzlei von Butenschöns Rechtsbeistand parken? Ich ließ die Klinke los und schlenderte zu dem Wagen hinüber. Es war ein silberner BMW Coupé, nicht ganz neu, aber blitzsauber. Zugelassen in Salzburg. Im Innenraum kein Hinweis auf den Besitzer, lediglich auf der Windschutzscheibe klebte die Parkgenehmigung für das Neuenheimer Feld.
Während ich noch um das Auto schlich, öffnete sich die Eingangstür der Kanzlei. Da kamen sie ja, meine zwei Prachtkerle: traten plaudernd ins milde Herbstlicht, nickten, waren ganz einer Meinung. Ganz einer Kleidung waren sie nicht; neben dem jugendlichen Prof. Gärtner in flatterndem Sakko wirkte Dr. Brouwer mit seinem dunklen Zweireiher wie der Ausbund von Biederkeit. Zumindest nahm ich an, dass es sich um Butenschöns Rechtsanwalt handelte. Wen sonst hätte Knödelchens Chef in seiner Mittagspause aufsuchen sollen?
Mittag war das Stichwort. Brouwers ausgestreckte Hand wies nach Süden, zum nahen Mönchhofplatz, und gemeinsam steuerten die zwei ein französisches Bistro in der Brückenstraße an. Ja, Neuenheim wird demnächst wohl umbenannt, in irgendetwas mit Neuf am Anfang, so viele frankophile Geschäftsleute haben sich in den letzten Jahren hier niedergelassen. Echtes Baguette mit echtem Stinkekäse, hinterher un petit noir und am Abend zur Beaujolais-Verkostung auf den Marktplatz – Alltag in Neuenheim. Pariser Dessous werden dir auch schon nachgeschmissen, man tafelt bei Jean oder Jacques, liest Le Monde und L’Equipe. Fehlen nur noch die Sammelbildchen von Carla Bruni. Aber retour zu dem ungleichen Duo.
Der sportliche Prof und der nackensteife Anwalt hatten das Bistro mittlerweile erreicht und mich, ohne dass sie es ahnten, in ihrem Schlepptau. An der Tür ein kleines Höflichkeitsduell: Wer schaffte es, dem anderen den Vortritt zu lassen? Endlich gab sich Brouwer geschlagen und trat ein. Drinnen begrüßte man ihn nicht nur wie einen Stammgast, sondern wies ihm auch gleich zwei Plätze an der straßenseitigen Glasfront an. Prima, so konnte ich die beiden ungestört beobachten. Ich sperrte mein Rad ab und wartete.
Nun, beobachten war kein Problem, warten können eine meiner Primärtugenden, zumal an einem herrlich milden Novembertag – aber was brachte es mir? Erst sprach Brouwer, und Gärtner hörte zu. Dann sprach Gärtner, und Brouwer lauschte. Belanglose Gesten, nichtssagende Mienen. Sie bestellten. Ihre Getränke kamen. Sie unterhielten sich. Verdammt, so würde ich nie erfahren, worum es bei diesem Treffen ging.
Mir blieb keine andere Wahl: Ich musste hinein. Ins befreundete Ausland sozusagen. Zum halben Dutzend Weinbergschnecken einen Primeur, und das mit meinem Schädel! Beinhart, dieser Job. Seufzend stieß ich die Tür auf und überschritt die grüne Grenze.
»Tut mir leid, dass ich störe«, sagte ich, zog mir einen Stuhl heran und setzte mich zu den Herren. »Aber ich müsste mich schon sehr täuschen, wenn mich Ihre Unterhaltung nicht ebenso viel anginge wie Sie beide. Koller ist mein Name. Ich untersuche den Brandanschlag auf das Büro von Frau Deininger. In ihrem Auftrag und dem ihres Mannes.«
Erst schauten die zwei mich nur an. Wie man halt so schaut, wenn man statt eines Elfmeters die Gelbe Karte bekommt. Für eine Schwalbe im November. Dann öffneten sie gleichzeitig den Mund. »Wer hat Ihnen …?«, begann Brouwer, doch schon fiel ihm Gärtner ins Wort: »Ich kann mich nicht erinnern, Sie hinzugebeten zu haben.« Ja, wenn ein Österreicher »I konn mi ned erinnern« sagte, hörte es sich gleich viel netter an. Wie a bisserl Vergesslichkeit nach einem harten Tag auf der Alm.
»Das haben Sie auch nicht«, erwiderte ich.
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