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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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Butenschön suchte den Blick seiner Frau, die zur Abwechslung ihre Brauen zusammenzog und kaum merklich den Kopf schüttelte. Unverdrossen fuhr der Dicke fort: »Heißt es vom Bernsteingold doch, es erhalte Freundschaften über das Grab hinaus. Deshalb, lieber Albert, lass uns ein Schlückchen trinken: auf die Freundschaft zwischen dir und meinem Vater.« Ohne auf das missbilligende Hüsteln der Hausherrin zu achten, schenkte er sich und dem Professor ein. »Prost, Albert«, strahlte er und hob sein Glas.
    Wacklig stand Butenschön auf. Eine Hand am Stock, die andere an einer Stuhllehne. So einen Freundschaftstrunk durfte man nicht ablehnen, selbst wenn man keine Lust darauf hatte. Vielleicht war das Verhältnis zwischen ihm und dem Kalbskopfvater auch gar nicht so rosig, wie es aus der Distanz der Jahrzehnte und verklärt von viel, viel Bernsteingold schien. Jedenfalls griff er widerstrebend nach dem dargebotenen Glas, stieß es gegen das des Dicken und führte es schließlich zum Mund. Beide tranken. Mit nassen Augen schaute der Dicke den Greis an, um ihn dann fest in die Arme zu schließen. Ringsum wurden Seufzer der Rührung laut. Das gute, alte Danzig! Und dann diese Männerfreundschaft! Bestimmt gab es einige, die sich der kleinen Schnapsrunde gerne angeschlossen hätten. Dazu kam es aber nicht. Prof. Butenschön, nach langen, innigen Sekunden aus der Umklammerung entlassen, führte eine Hand zum Magen, warf seiner Gattin einen gleichsam entschuldigenden Blick zu und übergab sich dann neben seinen Stuhl. Er war kalkweiß geworden.
    Die Gesellschaft erstarrte. Kleine Schreckensschreie wurden sofort in die Kehle verbannt. Frau Butenschön war aus ihrem Stuhl hochgefahren und sah ihren Mann fassungslos an. Der tränenschwere Dicke musste sich erst die Augen reiben, bis er kapierte, was geschehen war. Sicherheitshalber trat er zwei Schritte zurück.
    Butenschön würgte. Seine rechte Hand umfasste immer noch den Stock, seine linke fuhr zitternd vom Mund zur Hosentasche und wieder zurück. Dann ein neuer Schwall, nicht viel, doch es schüttelte ihn. Irgendjemand machte »iih!« und wurde böse niedergezischt. Die Sekunden verrannen, bis Butenschön endlich eine Serviette gereicht bekam, die er sich vor die Lippen halten konnte. Jemand redete ihm gut zu, ein anderer drückte ihn sanft auf seinen Stuhl zurück.
    »Das wird doch nicht an meinem Schnaps gelegen haben?«, hörte ich den Dicken sagen. Ich hörte es, obwohl er flüsterte, denn inzwischen war ich zu dem Grüppchen getreten. Zu wissen, wo sich Wassereimer und Putzlappen befanden, erwies sich in dieser Minute als echter Standortvorteil. Oder Nachteil, wie man will. Besonders appetitlich sah der professorale Mageninhalt auf den Dielen nicht aus. Ungefähr so wie nichtakademischer. Von der Mousse au chocolat hatte der arme Kerl jedenfalls nicht viel gehabt.
    Egal, man kann mir einiges nachsagen, Empfindlichkeit in Sachen Körperflüssigkeiten gehört nicht dazu. Ich begann, den ganzen Mist aufzuwischen, und dachte dabei an etwas Schönes. Neben oder besser über mir saß Butenschön. Seine Frau richtete ein paar affektierte Worte an die Gäste, von wegen kleiner Zwischenfall, Besorgnis sei fehl am Platz, und ich wischte. Zu Füßen des 100-Jährigen. Als ich einmal einen kurzen Blick nach oben riskierte, sah ich, dass seine Augen auf mir ruhten. Er verzog keine Miene, aber man hätte schon ein Stein sein müssen, um nicht zu bemerken, wie peinlich ihm die Sache war.
    »Ist mir auch schon passiert«, raunte ich ihm zu. »Bei Schnaps kippe ich regelmäßig aus den Latschen.«
    Ob das die richtigen Worte waren? Wer weiß das schon bei einem Nobelpreisträger? Er schwieg, ich wischte, und ringsumher versuchten sie, das Malheur zu überspielen. Was nicht gelang. Als ich schließlich den Weg in die Küche antrat, war mein Eimer die größte Sensation seit den sieben Weltwundern.

     

     

     

     

    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

25

    Verglichen mit Butenschöns Villa, bot das Südstadtreihenhaus der Fischers ein echtes Kontrastprogramm. Erholung pur, vor allem das Wohnzimmer! Eng und stinkgemütlich, die Möbel ausladend, die Wände erdfarben. Nicht zu vergessen die Couchgarnitur. Sie war ungefähr mein Jahrgang, und sie kam mir gerade recht.
    »Danke«, seufzte ich und ließ mich in den Kissenpfühl plumpsen.
    Kommissar Fischer musterte mich skeptisch. »Sie sehen nicht nur komisch aus heute«, meinte er, die Hände

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