Butterbrot
den Händen an der Hosennaht vor meinem inneren Spiegel und rief: >Hurra - ich bin ein freier Mann
- hurra - das Leben ist wieder in meiner Hand, und ich bestimme den Kurs nach den Sternen meiner Wünsche< - aber die äußere Realität sah überhaupt nicht nach Pathos und Revolutionssieg aus.
Ich war aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen und hatte mich in einem Hotel im Zentrum eingemietet, wo ich mindestens zwei Wochen wohnen wollte, um mir einen Urlaub von den Gewohnheiten zu schenken, die mich beinahe erwürgt hätten. Genau
diese Gewohnheiten waren es dann aber auch, die sich mir wie eine kalte Hand um den Hals legten und meine Hurra-Schreie beinahe erstickt hätten.
Ich war es gewohnt, daß sie in der Nacht neben mir lag, und ich hatte immer gewartet, bis sie vor mir eingeschlafen war. Jetzt blickte ich in das stille, dunkle Hotelzimmer und hatte niemanden, auf den ich warten konnte. Und wie soll man darauf warten, bis man selbst eingeschlafen ist, um dann einschlafen zu können?! Nach der dritten durchwachten Nacht kaufte ich mir Opiate, um in betäubungsähnlichen Schlaf zu fallen, der den nächsten Morgen immer mit einem Kopf eröffnete, der Ähnlichkeiten hatte mit dem ersten Wasserstoffbombentest im Bikiniatoll - und das, obwohl ich keinen Tropfen Alkohol trinke.
>Vielleicht ist das der Fehler< - sagte ich zu mir und kaufte mir eine Flasche Gin und eine Flasche Soda und ein Glas Maraschinococktailkirschen und rührte mir an den folgenden Abenden einen >kleinen Schlaftrunk - so zärtlich umschrieb ich die Tatsache, daß ich ein Alkoholiker geworden war. Nach einer Woche stellte ich nämlich fest, daß das Zimmerfräulein einen mitleidigen Blick zu mir herüberschickte, als ich beim Frühstück den Kaffee in meiner zittrigen Hand verschüttete und auch noch dümmlich grinsend sagte: >Das ist der Föhn, wissen Sie. Ich bin nämlich sehr wetterfühlig und - und -... ja ... bin ich.<
Als sie dann aber einen Plastiksack mit sieben leeren Ginflaschen an mir vorbeitrug, erkannte ich, daß ich mich nicht mehr auf das Wetter herausreden konnte -noch dazu, weil es seit zehn Tagen ununterbrochen schüttete und von Föhn so wenig zu sehen war wie von der Schlange von Loch Ness bei der Verleihung des Pulitzerpreises.
Ich war es gewohnt, daß wir uns darum balgten, wer den Hauptteil der Zeitung als erster lesen durfte - weil ich es nämlich nicht ertragen kann, wenn jemand vor mir eine Zeitung so zerfaltet, daß ich die Titelseite nicht mehr finde. Und jetzt saß ich im Frühstückssaal an meinem Frühstückstischchen mit dem täglich zu weichen Frühstücksei, das mir vom Löffel rann, und hielt eine ordentliche, frische Zeitung in der Hand, die ich erst selbst verwüsten mußte, um mich in ihr daheim zu fühlen.
Was soll ich dir noch sagen - ich hatte, alles in allem, so oft das Gefühl, den Entzug von einer Sucht nicht zu schaffen, von der man weiß, daß sie zwar zum Tode führt, die einem aber immer rosiger erscheint, je mehr man ohne sie zugrunde geht.
Ich setzte so oft Bewegungen in den Raum, die mein Körper nur machte, weil er es gelernt hatte, in einem Zimmer nicht allein zu sein, und blieb so oft mitten im Text stecken, weil ich niemanden hatte, der mir ein Stichwort zum Weiterspielen geben konnte.
Ich war oft kurz davor, zum Telefon zu greifen und zu sagen: >Hallo Baby - laß uns doch chinesisch essen gehen und dann ins Kino und dann ins Bett. Irgendwie werden wir es schon schaffen - Hauptsache, ich kann wieder schlafen und das Ei ist viereinhalb Minuten lang im kochenden Wasser gelegen, wie es sich gehört.<
Ich habe dann auch einmal angerufen nach den ersten zehn Tagen, und als eine Männerstimme >hallo< gesagt hat, bin ich allein ins Kino gegangen und habe anschließend ein Curryhuhn gegessen und versucht, das Zimmermädchen zu verführen - das offensichtlich seit dem ersten Tag darauf gewartet hatte. Das ging aber leider schief, denn als ich mir die Hose ausziehen wollte, blieb ich in der Eile in einem Bein hängen und fiel vor das Bett. Als die Kleine dann auch noch lachend sagte: >Na, Sie sind aber nicht sehr sportlich< -bat ich sie zu gehen und nahm lieber eine heiße Dusche, trank ein Glas Wasser und starrte bis zum Morgen an die Decke.
Es war nicht eine von den Zeiten in meinem Leben, die ich für ein Wochenendseminar anbieten würde, in dem es um die Dauerhaftigkeit des inneren Lächelns geht - ich war unrasiert, unterernährt und vor lauter Schlafentzug nicht einmal mehr fähig, auf
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