Butterbrot
meinen Plänen gerade Linien zu ziehen, die von Wand zu Wand führen und zum Beispiel ein Eßzimmer darstellen sollen.
Ich glaube, daß in dieser Periode sehr futuristische Wochenendhäuser auf meinem Arbeitspult entstanden sind, in denen es schwerfällt, einen einzigen rechten Winkel zu finden, in den man einen Besen stellen könnte - alles war in Auflösung begriffen, und ich sah diesem Prozeß sogar mit einer gewissen Lust zu, weil ich Susanna daran die Schuld geben konnte und weil es ein ähnlicher Genuß für mich war, mir beim Zerfall zuzusehen, wie es der seltsam süße Schmerz ist, den man hat, wenn man mit der Zunge in einer Zahnlücke bohrt, aus der eine Füllung herausgefallen ist. Die Wurzel ist zwar schon tot, aber an den Rändern der umstehenden Dreier und Sechser kann man noch so herrlich lange herummachen, bis die Zungenspitze ganz taub geworden ist.
Als ich dieses überreizte Gefühl auf den Spitzen meiner Seele wiedererkannte, beschloß ich, ins Theater zu gehen.
Ich weiß noch, wie ich vor dem großmächtigen Kulturbau im Zentrum stand und auf den Spielplan starrte. Ich hatte an diesem Tag bereits das gesamte Programm aller Kinos der Stadt schon zum dritten Mal gesehen und gierte nach irgendeiner Abwechslung, die mich davon erlösen konnte, immer wieder denselben Fußstapfen im Schnee meiner Verzweiflung nachzuhinken.
>Othello< war da zu lesen, und das war es auch, was ich suchte -
>Genau - abstechen soll er sie, die Nutte<, dachte ich, während ich mir eine Restkarte an der Abendkasse löste und anschließend in einer sandrot bestuhlten Loge Platz nahm.
>Ist doch klar, daß sie mit dem Cassio und mit dem Jago auch und vor allem mit den Sekretären der beiden und wahrscheinlich auch mit dem Souffleur. Ist doch klar - sonst müßte er sie ja nicht abstechen und auf diese Weise gewissermaßen ein Opfer bringen auf dem Altar der Überlegenheit, die in unserem Geschlecht einfach drinnensitzt wie der Wurm im Apfel. Ich meine natürlich die Made im Speck - oder so ... oder - ach was - ist ja egal< - dachte ich leicht umnebelt, da ich mir sicherheitshalber vor Beginn der Vorstellung zwei doppelte Gin-Fizz gegönnt hatte, um etwas Vitamine in meine Alkoholbahn zu pumpen. >Gib's ihr< - murmelte ich daher immer wieder vor mich hin, als die Lichter endlich eingezogen wurden und der Vorhang sich endlich hob - >gib's ihr -<
>Psst<, drang es aus der Nebenloge, und ich wollte schon hinübergehen, um das Problem zu klären, als ich aus einem ganz anderen Grund verstummte und sitzen blieb -
Stefan Kowalsky -
Auf der Bühne stand, schwarz angefärbt und mit einem goldenen Ring im Ohr - Stefan Kowalsky.
Du wirst dich jetzt sicher fragen: >Wer ist Stefan Kowalsky?< - und ich werde es dir sagen.
Stefan Kowalsky war mit mir auf derselben hohen Kunstschule gewesen, auf der ich Bühnenbild studiert hatte, um letzten Endes doch zu bemerken, daß ich mehr auf die Errichtung von individuell gestalteten Milliardärsvillen Lust hatte, als über staubige Weltbretter Leinwände zu spannen, die das Mittelmeer darstellen sollten. Ich bin im tiefsten Herzensgründe immer schon mehr dafür gewesen, tatsächlich den Sonnenuntergang mitzuerleben, als ihn durch eine rote Glasscheibe vor einem Scheinwerfer zu zitieren. Aber wie auch immer - es gab da einmal eine Studentenproduktion, bei der ich mitgearbeitet habe und in der Stefan Kowalsky die Hauptrolle gespielt hatte. Es war natürlich >Hamlet<, denn darunter macht man es nicht, wenn man im Abschlußjahrgang ist und der ganzen Welt zeigen möchte, was eine Harke ist.
In dieser Aufführung war Stefan Kowalsky die Harke, und seine Art, auf der Bühne zu leben, hätte mich fast dazu gebracht, doch lieber Zitate auf die Wirklichkeit zu entwerfen als gitarrenförmige Swimmingpools für die Spitzenreiter der Hitparaden.
In dieser Zeit hatten wir viele gemeinsame Abende in der kleinen Würstchenbude, die hinter der Hochschule lag, und ich sprach oft nächtelang mit ihm über den Sinn des Lebens, das ja - wie wir wissen - nur ein Theater ist. Und dieses Theater färbte ihm jedes einzelne Blutkörperchen röter, als echtes Blut von der Natur geplant ist.
Ich weiß nicht, ob man von der Zeit sagen kann, daß es eine Freundschaft war, weil wir alle viel zu sehr mit dem Bau der eigenen Startrampen beschäftigt waren. Aber in den Momenten, in denen der Kopf frei genug war, einen anderen Menschen wirklich zu registrieren, kann man sagen, daß wir uns sehr nahegekommen sind.
Nach
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