Butterbrot
meinem Wechsel ins reine Architektenfach habe ich ihn dann aus den Augen verloren und nie wiedergefunden. Wahrscheinlich war er auch nicht mehr in der Stadt gewesen, sondern er probte irgendwo in einer verborgenen Ecke seine Möglichkeiten, um dann doppelt siegessicher aus dem Wald hervorzuspringen. Egal - ich hatte ihn zehn Jahre lang nicht gesehen und mich auch nicht mehr um das Theaterleben gekümmert. Sonst hätte ich ja wohl mitbekommen, was für ein Star er in den Jahren seit unserem letzten Gespräch geworden war.
Dieser Stefan Kowalsky nun war es, den ich da auf einmal im letzten Akt auf seine Geliebte einstechen und ihr den Rest geben sah. Stefan - dem ich damals noch das Geld für ein letztes Paar Würstchen geborgt und nie wieder ein Wort darüber verloren hatte.
Er brachte sie mit einer derart verzweifelten, zerfressenen Besessenheit um die Ecke, daß ich mich fragte, wer wohl die Zweitbesetzung der Dame war, die da am Schluß des Stückes wie in ihre Bestandteile zerlegt am Boden lag und keinen Ton mehr von sich gab.
>Gott sei Dank ist er wirklich ein Profi der Verzauberung< - dachte ich erleichtert, als im Schlußapplaus des tobenden Publikums nicht nur Stefan vor den Vorhang trat, sondern auch diese heuchlerische Schlampe, die jetzt sogar vor aller Augen Cassio zulächelte und dafür von Stefan einen Handkuß bekam. >Mein Gott, es ist ja nur Theater< - ohrfeigte ich mich zu Recht und stellte fest, daß ich schon bereit war, in jedem Lockenschopf Susanna wiederzuerkennen, die dem Othello in mir gerade noch einmal rechtzeitig von der Schaufel gesprungen war.
Nach dem Verklingen des letzten Bravos, das aus meiner Loge gerufen worden war, beschloß ich, beim Bühneneingang auf Stefan zu warten und ihm zu sagen, wie großartig er mir gefallen hatte. Vielleicht sprang bei der Gelegenheit auch ein kleines Plauderviertelstündchen heraus, und ich konnte mein Paar Würstchen zurückbekommen, das seit zehn Jahren im kosmischen Netz der Ursachen und Wirkungen auf mich wartete wie das Goldene Vlies auf Jason, den Argonauten.
Es war eine kühle Spätoktobernacht, und man konnte schon zum ersten Mal den Atem vor dem Mund sehen, wenn man hustete - und ich hustete so oft, daß ich beschloß, vielleicht doch eines Tages das Rauchen wieder aufzugeben, das ich seit zwei Wochen mit einer Konsequenz betrieb, an der nur Susanna schuld war. Sie sollte sich an meinem Sarg ruhig daran erinnern, daß ich einmal ein gesunder, junger Mann gewesen war, bevor ich sie in den jungfräulichen Rosengarten meines Lebens gelassen hatte, dessen Zertrampelung sie allein auf dem Gewissen hatte.
>Darf ich Sie um ein Autogramm bitten, Herr Kowalsky< - sagte ich zu Stefan, der an mir vorbei zu einem der Taxis gehen wollte, die hinter dem Theater parkten.
>Ja, gerne< - antwortete er und suchte einen Kugelschreiber, und ich sah, daß er mich nicht erkannte. >Du bist noch hervorragender geworden, Stefan< -sagte ich schließlich, um einen Frontalangriff zu starten, und freute mich über seine fragenden Augen, hinter denen die Erinnerungszwerge in dicken Büchern blätterten, in denen schon da und dort ein Blatt lose geworden und herausgefallen war.
>Ich gebe dir noch zwei Würstchen lang Zeit<, sagte ich lachend und wendete mich kurz ab, um zu Ende zu husten.
>Martin< - schrie er plötzlich - >Martin Sterneck< -und umarmte mich mit einer Herzlichkeit, als wären die letzten zehn Jahre nur so lang gewesen, wie man braucht, um eine Packung Zigaretten aus Südamerika zu holen.
>Mein Gott ... Martin Sterneck ...!<- rief er immer wieder, und obwohl Temperament haben zu seinem Beruf gehörte, spürte ich doch eine ehrliche, tiefe Freude in seiner Stimme und in seinen Augen, die die Zeiger meiner Gefühle auf die Stunden zurückdrehten, in denen es auf meiner Lebensuhr noch früher, sonniger Wochenanfang gewesen war.
>Ja - du wirst es nicht glauben - aber ich bin es -!< rief auch ich in der überschäumenden Art, mit der wir uns damals immer um den Hals gefallen waren und dabei die Kleingeister verachtet hatten, deren Herzschrittmacher schon bei einem leisen >Guten Abend< aus dem Takt gerieten und stolperten.
>Nein!!< - rief er.
>Doch!!<
>Und wo warst du all die Jahre -<
>Ich war immer hier - und du?! <
>Ach - hier und dort ... <
>Schön für dich - du bist wirklich eine Wucht -<
>Ach hör auf.<
>Nein, es stimmt. Tot Umfallen soll ich, wenn ich jemals gelogen habe -<
>Stirb, Elender< - rief er lachend und stach mir ein imaginäres
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