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Butterbrot

Butterbrot

Titel: Butterbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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dreizehnten oder vierzehnten Geburtstag wie für immer vorbei.
    Was ich aber am allerwenigsten verstehen konnte, war die Tatsache, daß sich die Menschen, die uns dazu formten, gleichgültig gegenüber der Erzählung des Lebens zu sein, wie irrsinnig gebärdeten, um einen schwachen Abklatsch genau dieser Erzählung zu erleben.
    Wie bei einem Veitstanz grapschte jeder von ihnen nach den Perversionen von Liebe und Lebendigkeit, als wäre der einzige Sinn ihres Daseins, die von ihnen geforderten Selbstvergewaltigungen zu entlarven als das, was sie waren: Knebel im Mund des Wahren, des Guten und des Schönen.
    Was soll's - irgendwann einmal war der Tag gekommen, an dem ich aufgehört hatte, den aussichtslosen Kampf gegen die Sintflut zu führen - irgendwann an einem nebligen Oktobertag dachte ich mir: »In Ordnung - ich tue von heute an, was sie von mir wollen -Hauptsache, sie lassen mich in Ruhe, und ich falle nicht ein zweites Mal wegen der Unfähigkeit, sphärische Zylinder zu trigonometrisieren durch die Klasse.«
    Das war natürlich nur ein Sandkorn im Auge des Weisen - aber mit diesem äußeren Verzicht auf mein Wissen von den sprechenden Bäumen und Tieren hatte ich einen Waffenstillstand erreicht, der es mir ermöglichte, zumindest unter Tag hie und da von dem Gefühl zu träumen, das ich im Alter von sieben Jahren an diesem Platz in mir hatte und das durch das Lächeln von Maria zum ersten Mal seit jenem Abend wieder den Mut hatte, ein Periskop an die Meeresoberfläche zu stecken.
    »Darf ich etwas sagen, über das ich jetzt lange nachgedacht habe« - fragte ich und wußte, daß sie »ja« sagen würde -
    »Ich bin in dieser Sekunde so glücklich, wie ich es schon lange, lange, lange, lange, lange nicht mehr war -«
    Sie beugte sich zu mir, nahm mein Gesicht in ihre Hände und sah mich an.
    Ihre Augen tauchten in meine Augen und begannen, dort tiefer zu sinken als irgend etwas oder irgend jemand jemals zuvor.
    Mein Mut fing an, in meinem Herzen zu wachsen und alles auszuhalten, wonach er sich immer gesehnt hatte.
    »Und du glaubst nicht, daß wir zu schnell unterwegs sind?« fragte sie leise, nachdem sie wieder aus meinem Blick zu sich zurückgekehrt war.
    »Ich hoffe nicht«, sagte ich und lächelte dem Ober zu, der mir im Vorübergehen zunickte wie ein alter, vertrauter Freund, dem wohl ums Herz ist, weil er seinen Bruder in guten Händen weiß.
    »Ich hoffe nicht ...«
    »Na gut.«
    »Ja«, sagte ich, »es ist gut - es ist so verdammt gut, wie fast überhaupt noch nie etwas gut war -«
    »Oh - dann ist es ja sehr gut -«
    »Ja - sehr, sehr gut sogar -«
    »Na gut ...«
    »Ja.«
    Wir lachten uns an und tranken im selben Augenblick unsere Gläser leer - was auch wirklich gut war, denn meine Mentabesessenheit verlangte nach einer neuen Mischung, die dem Augenblick angepaßt war. Tollkühn wie ich mich fühlte, hätte ich Lust gehabt, ein Verhältnis von eins zu null herzustellen - der erfahrene Krieger in mir aber hielt mich vor solch jugendlichem Übermut zurück und erreichte ein eins zu eins, das immer noch atemberaubend genug war, um die Augen zu vergrößern und die Lunge nach Luft schnappen zu lassen.
    »Natürlich warst du mit Susanna auch im Florian«, sagte sie lächelnd, klopfte mir auf den Rücken, weil ich mich verschluckt hatte und durch einen Hustenanfall sprechunfähig geworden war.
    »Ja - natürlich« - brachte ich endlich hervor und bewunderte ihre Kaltblütigkeit, dieses Eisen wirklich so lange anzupacken, bis es völlig kühl geworden war.
    »Und - hast du darüber schon nachgedacht, wie es wäre, wenn sie jetzt plötzlich um die Ecke biegen würde?«
    »Nein, habe ich nicht - das ist aber auch gar nicht nötig, weil es nichts verändern würde - nichts verändern könnte. Diese erschreckenden Überfälle der Vergangenheit habe ich schon durchwandert.«
    »Die Gewohnheit ist ein Hund - was?!«
    »Ja« - sagte ich - »wie der von Baskerville.«
    »Was hast du gemacht an dem Tag, als es aus war?«
    »Als es aus war ...«
    Mein Gott - das ist eine Frage - dachte ich. Wann ist es schon »aus« zwischen zwei Menschen, die Hand in Hand über das Hochplateau ihres Zusammenseins wandern. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht! Das einzige, was ich sagen kann, ist, daß es immer schon viel früher »aus« ist, als man bemerkt, daß es »aus« ist-und im Anschluß daran stellt man fest, daß es noch lange nicht »aus« war, obwohl man sich doch schon gegenseitig an den Kopf geworfen hat, daß

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