Byrne & Balzano 1: Crucifix
schmeckten einfach besser, wenn man mit dem Bus in die Stadt fuhr und zum Markt lief. Das war heute noch so.
Damals schlenderten sie nach Thanksgiving die Walnut Street hinunter und sahen sich die Schaufenster der teuren Geschäfte an. Sie konnten sich zwar nichts von dem leisten, was sie in den Fenstern sahen, aber die wunderschönen Auslagen regten die Fantasie des kleinen Mädchens an.
Verdammt lang her , dachte Jessica.
Es regnete in Strömen.
Ein Mann näherte sich der Skulptur und riss Jessica aus ihren Träumen. Er trug einen grünen Regenmantel mit Kapuze und hatte die Hände in den Taschen vergraben. Es sah so aus, als würde er zu Füßen des gewaltigen Kunstwerks verweilen und sich umschauen. Die Größe des Mannes entsprach etwa der von Brian Parkhurst. Aus der Entfernung konnte Jessica jedoch nicht erkennen, welche Haarfarbe der Mann hatte und wie kräftig er gebaut war.
Jessica zog die Waffe und versteckte sie hinter dem Rücken. Sie wollte gerade auf den Mann zugehen, als dieser plötzlich auf die U-Bahn-Haltestelle zusteuerte.
Jessica atmete tief ein und steckte die Waffe in den Halfter zurück.
Sie beobachtete die Autos, die um den Platz fuhren und deren Scheinwerfer den Regen wie Katzenaugen durchbrachen.
Sie rief Brian Parkhursts Handynummer an.
Mailbox.
Sie versuchte es auf Kevin Byrnes Handy.
Ebenfalls Mailbox.
Jessica zog die Kapuze ihres Regenmantels enger um den Kopf
Und wartete.
30.
Dienstag, 20.55 Uhr
E r ist betrunken.
Das wird mir meinen Job erleichtern. Langsamere Reflexe, herabgesetzte Leistungsfähigkeit, verminderte Wahrnehmungsfähigkeit. Ich könnte vor der Bar auf ihn warten, auf ihn zugehen, ihm meine Absichten verraten und ihn dann erledigen.
Er würde gar nicht wissen, wie ihm geschieht.
Aber wo bliebe der Spaß?
Wo die Lektion?
Nein, ich finde, die Menschen sollten es wissen. Ich bin mir des großen Risikos bewusst, dass mir Einhalt geboten werden könnte, ehe ich dieses Passionsspiel beenden kann. Und wenn ich eines Tages den langen Korridor zu dem sterilen Raum hinuntergehe und an einen Stuhl geschnallt werde, werde ich mein Schicksal akzeptieren.
Ich weiß, dass eine viel größere Macht über mich richtet als der Staat Pennsylvania, wenn meine Zeit gekommen ist.
Bis dahin werde ich derjenige sein, der in der Kirche neben dir sitzt, der dir einen Platz im Bus anbietet, der dir die Tür an einem stürmischen Tag aufhält, der das aufgeschürfte Knie deiner Tochter verbindet.
Das ist die Gnade, wenn man in Gottes langem Schatten lebt. Manchmal stellt sich heraus, dass es nur ein Kleiderständer war, der den Schatten geworfen hat. Manchmal ist der Schatten alles, was man fürchtet.
31.
Dienstag, 21.00 Uhr
B yrne saß an der Bar, ohne auf die Musik oder den Lärm am Billardtisch zu achten. Im Augenblick hörte er nur das Getöse in seinem Kopf.
Er saß in einer heruntergekommenen Eckkneipe namens Shotz in Gray’s Ferry, weit entfernt von den Bars, die Cops normalerweise aufsuchten. Er hätte in die Stadt fahren und in eine Hotelbar gehen können, hatte aber keine Lust, zehn Dollar für einen Drink zu bezahlen.
Was er sich wirklich wünschte, waren ein paar Augenblicke mit Brian Parkhurst. Bei einer zweiten Vernehmung würde er die Wahrheit herausfinden. Ob er eine zweite Chance bekommen würde, wusste er nicht. Er kippte seinen Bourbon herunter und bestellte sich einen zweiten.
Sein Handy hatte er ausgeschaltet. Er schaute nach, ob jemand versucht hatte, ihn zu erreichen. Die Telefonnummer des Mercy Hospitals wurde angezeigt. Jimmy hatte heute schon zum zweiten Mal angerufen. Byrne warf einen Blick auf die Uhr. Er war auf einen Sprung im Mercy gewesen und hatte seinen Charme spielen lassen, damit die Krankenschwestern ihm einen kurzen Besuch gestatteten. Für einen Cop gelten keine festen Besuchszeiten.
Die anderen Anrufe waren von Jessica. Er würde sie gleich zurückrufen. Jetzt brauchte er ein paar Minuten für sich allein.
Jetzt wünschte er sich nur den Frieden der lautesten Kneipe in Gray’s Ferry.
Tessa Wells.
Nicole Taylor.
Die Öffentlichkeit glaubt, dass die Cops nach einem Mord am Tatort auftauchen, sich ein paar Notizen machen, dann nach Hause zurückkehren und zur Tagesordnung übergehen. Weit gefehlt. Denn der ungerächte Tote bleibt nicht tot. Der ungerächte Tote beobachtet dich. Sie beobachten dich, wenn du dir einen Film ansiehst oder mit der Familie isst oder ein paar
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