BZRK Reloaded (German Edition)
erinnerte sich an Gehörtes, kurze Eindrücke, die wie bei einem kaputten Download sprangen, Gesprächsfetzen, brausender Wind, bellende Hunde, ein Kratzen, ein Puls.
Ein Herz. Nicht ihr eigenes, aber fast. Das Herz ihrer Mutter, wie sie es in ihrem Bauch gehört hatte.
Sie schlugen sie auf wie ein Buch und lasen in ihr. Nicht, dass sie es verstanden, nicht, dass sie Einzelheiten sahen, denn ihre Kommentare blieben sehr allgemein.
»Das machte einen traurigen Eindruck«, sagte Benjamin, und sein Bruder meinte: »Bei mir fühlte es sich wütend an.«
Sie waren Egel, die an ihren Emotionen saugten, fühlten, was sie fühlte, und zwar auf eine Weise, die zugleich fremd und intim war, als würde sie von jemandem abgetastet, der dicke Handschuhe trug.
Und dann …
»Bäh«, sagte Benjamin. »Die kleine Sau hat sich bepisst.«
Sie hatte gespürt, dass das stimmte. Am liebsten hätte sie angefangen zu weinen, aber sie hatte nie richtig damit aufgehört.
»Widerlich. Ich kann nicht weitermachen, nicht, solange sie nicht saubergemacht ist. KimKim, bringen Sie sie in ihr Quartier zurück«, sagte Charles.
»Ich brauche sowieso eine Pause«, pflichtete Benjamin ihm bei. »Min! Ich will einen Cocktail, den habe ich mir verdient, was?«
KimKim hatte die beschämte und besudelte Minako in ihr Quartier zurückgeschleppt. »Geh duschen und zieh frische Sachen an«, hatte er streng gesagt.
Und jetzt lag sie da und zählte Gitterquadrate in der unsinnigen Hoffnung, dass, wenn sie die beiden Ergebnisse multiplizierte, eine wundervolle, schöne Zahl herauskäme.
ZWANZIG
Sie tanzten.
Anthony Elder und Jessica … Er hatte ihren Nachnamen vergessen. Wie hatte er nur ihren Nachnamen vergessen können?
Sie tanzten in einem Club, in dem ein gefälschter Ausweis und zweihundert Dollar Wunder wirkten. Es hatte seine Vorteile, der Goldjunge von AFGC zu sein.
Sie tanzten auf dem Parkett, um sie herum zwanzig Weiße in Anzügen und mit gelockerten Krawatten, die brav geschnittenen Haare platt vor Schweiß. Und Frauen in sexy Kostümen, die Schuhe mit mittelhohen Anwaltsabsätzen trugen und ihre Haare eifrig fliegen ließen.
Die Musik war ziemlich schwach, doch das machte nichts. Es machte nichts. Sie tanzten, ein Kerl mit seinem Mädchen. Sein Mädchen, das alle anderen Frauen im Raum verblassen ließ.
An Letzteres, also daran, dass er mit einer umwerfenden Schönheit unter Leuten war, hatte er sich schon fast gewöhnt. An die Blicke. Von den Typen, von den Frauen, an die Blicke, die sagten: Mann, du spielst doch nicht in derselben Liga wie dieses Mädchen. Aber jetzt war es anders. Er spielte noch immer nicht in ihrer Liga, aber jetzt war sie frei, und jeder Moment, den sie mit ihm verbrachte …
»Macht’s dir Spaß?«, brüllte er ihr ins Ohr, um gegen die Musik anzukommen.
»M-hm.«
»Wirklich?«
Er hörte die Unsicherheit in seinem Ton. Er klang bedürftig. Dann lächelte sie, und es war ein anderes Lächeln. Sonst wäre es niemandem aufgefallen, aber ihm fiel es auf. Sie hatte richtig rote Wangen vor Freude. Ihre Augen, ihre unglaublichen Augen strahlten hell, und sie sahen ihn direkt an.
Dankbarkeit. Wie eigenartig. Er fühlte Dankbarkeit. Als wollte er Gott im Himmel danken.
Es war echt. Das war das Entscheidende: Es war echt.
Beim Tanzen fiel ihr der Traum wieder ein.Bis zum Hals eingegraben.Napalm in den Venen.
Sie summte zu der Musik, die vor allem aus Beat und nur wenig aus Melodie bestand. Sie sah an Anthony vorbei. Zu einem muskulösen Mann, farbig, vielleicht fünfundzwanzig, ein Dauergast im Fitnessstudio, dessen Bizepse sein Lederjackett spannten. Er gaffte sie an. Das war nichts Neues, das taten alle, aber der da, dieser Mann, hatte etwas Besonderes. Er war von einer berufsmäßigen Aufmerksamkeit. Er starrte nicht nur auf ihr Gesicht, ihre Brüste. Er beobachtete sie genauer. Nüchtern. Nachdenklich.Argwöhnisch. Das war es! Wenn sein Blick auf Anthony fiel, war da der reine Argwohn.
Deshalb erwiderte Jessica den Blick. Es wurde zu einer gegenseitigen Sache. Und dann machte er eine scheinbar beiläufige, aber beabsichtigte Geste. Er drehte sich auf dem Barhocker, sodass sich sein Jackett öffnete. In einem Holster an der Hüfte trug er eine Pistole, nicht angeberisch, sondern professionell.
Er war ein Bulle. Oder jedenfalls so etwas Ähnliches.
Jessica löste sich von Anthony.
Er drehte sich um, als er sie davongehen sah, und folgte ihr, als sie – ohne zu wissen, warum oder was sie vorhatte –
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