Cäsar Birotteau (German Edition)
wir wollen gleich früh zwischen sieben und acht Uhr zu Gigonnet gehen und sehen, was wir von ihm zu erwarten haben.«
Ganz außer sich warf sich Konstante in des Onkels Arme. Ihre Sprache war nur noch Tränen und Schluchzen.
Popinot wie Pillerault konnten beide nicht wissen, daß Bidault, genannt Gigonnet, und Claparon & Co. nur Strohmänner für du Tillet waren und daß du Tillet unter den Handelsnachrichten lesen wollte: »Der Parfümhändler Cäsar Birotteau, wohnhaft in Paris, Rue Saint-Honoré Nr. 397, hat beim Handelsgericht seinen Konkurs angemeldet, Eröffnung: 16. Januar 1819. Beauftragter Richter: Herr Gobenheim-Keller. Konkursverwalter: Herr Molineux.«
Bis zum Morgengrauen arbeiteten Popinot und Pillerault an den Geschäftsbüchern Birotteaus. Um acht Uhr vormittags machten sich die beiden opfermutigen Freunde auf den Weg nach der Rue Grenétat, beide schweigsam und seelisch leidend. Pillerault strich sich mehrmals über die Stirn.
Die Rue Grenétat ist eine häßliche Geschäftsstraße mit gräßlichen Häusern und ziemlich unsauber. Der alte Gigonnet wohnte in einem dritten Stockwerk, dessen Schiebefenster kleine schmutzige Scheiben hatten. Die Treppe begann unmittelbar an der Straße. Die Hausmannsfrau wohnte im Zwischenstock in einem Käfige, der kaum Licht hatte. Mit Ausnahme von Gigonnet betrieben sämtliche Mieter im Hause ein Gewerbe. Es herrschte ein fortwährendes Gelaufe, so daß die Treppenstufen je nach der Witterung mit hartem oder weichem Schmutz und Unrat bedeckt waren. Auf jedem Absatz dieses stinkenden Aufganges zeigten rotlackierte Blechschilder in goldenen Buchstaben die Namen der Handwerker; hier und da hingen daneben Proben ihrer Kunst. Zumeist standen die Türen offen, so daß man die seltsamste Verquickung von Werkstatt und Haushalt erblicken konnte. Es lärmte, schrie, sang, pfiff und grunzte dem Besucher entgegen, so daß er sich unwillkürlich an die Fütterungsstunde im Zoologischen Garten erinnerte. Im ersten Stock verfertigte man in einem wahren Schweinestalle die schönsten Hosenträger von ganz Paris. Im zweiten Stock entstanden im widerlichsten Dreck die elegantesten Kartonagen. Gigonnet hauste in der dritten Etage. Obgleich er bei seinem Tode eine Million achthunderttausend Francs Kapital hinterlassen haben sollte, ließ er sich bei Lebzeiten durch nichts bewegen, diese Wohnung mit einer besseren zu vertauschen.
»Mut!« sagte Pillerault, als er an der graugestrichenen saubern Tür Gigonnets stand und an der Rehpfote des Klingelzugs zog.
Der Wechsler öffnete selber. Die beiden Vorkämpfer des in Zahlungsschwierigkeiten Geratenen durchschritten zunächst ein reinliches kahles Zimmer, dessen Fenster keine Gardinen hatte. Das zweite Zimmer war des Wucherers Wohnstube. Hier nahmen alle drei Platz vor einem Kamin, in dem inmitten eines Aschenhaufens ein Holzklotz glühte. Popinot stand das Herz still, als er die Unmenge von Aktenfaszikeln und die mönchische Armseligkeit des ganzen wie von Kellerluft erfüllten Raumes erblickte. Verdutzt sah er auf das dreifarbige Blumenmuster der dünnen bläulichen Tapete, die seit einem Menschenalter an den Wänden kleben mochte. Dann fielen seine betrübten Augen auf den Kamin, wo eine Standuhr in Lyraform und zwei blaue länglich geformte Sèvresvasen mit viel vergoldetem Kupferzierat standen. Sie waren eine Art Strandgut und stammten aus dem Boudoir von Marie-Antoinette aus dem Versailler Schlosse, wo sie Gigonnet gerettet hatte, als der Mob alles kurz und klein schlug. Daneben blinkten zwei häßliche Leuchter aus schlechtem Metall.
»Ich weiß«, begann Gigonnet, »Sie kommen nich für sich, sondern für den berühmten Birotteau! Na, sagen Sie schon, was wolln Sie?«
»Ich denke, wir brauchen es Ihnen nicht erst mitzuteilen«, erwiderte Pillerault. »Wir können uns daher kurz fassen. Sie sind im Besitze von Wechseln des Herrn Birotteau?«
»Die sind heut fällig!«
»Wollen Sie die ersten fünfzigtausend gegen Akzepte von Herrn Popinot, den Sie hier vor sich sehen, eintauschen, versteht sich, gegen ordentlichen Diskont?«
Gigonnet nahm die abscheuliche grüne Kappe ab, mit der er geboren zu sein schien, ließ seinen buttergelben haarlosen Schädel sehen und entgegnete mit einer spöttischen Grimasse: »Das heißt, Sie wolln mir mit Haaröl zahlen?«
»Wenn Sie Witze machen wollen, können wir uns ja wieder empfehlen!« bemerkte Pillerault.
»Sie sprechen wie 'n Weiser und Sie sind 'n Weiser!« meinte der Wucherer mit
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