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Cäsar Birotteau (German Edition)

Cäsar Birotteau (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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desgleichen. In demütiger Zerknirschung betete er das wunderbare Gebet der Gläubigen:
    »Vater unser, der du bist im Himmel! Dein Name werde geheiligt! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel! Unser täglich Brot gib uns heute! Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern! Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel! Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen!«
    Dem Stoiker Pillerault traten Tränen in die Augen. Tiefunglücklich und weinend lehnte Cäsarine ihr Haupt an Popinots Schulter, starr und bleich wie aus Marmor.
    »Komm mit hinunter!« sprach der alte Kaufmann zu dem jungen und nahm ihn am Arm. Es war halb zwölf, als die beiden Cäsar der Pflege seiner Frau und Tochter überließen.
    In dem Augenblick kam Cölestin Crevel die Treppe herauf, der erste Kommis, der während der geheimen Krise das Geschäft leitete. Als Cäsarine seine Schritte hörte, lief sie ihm entgegen vor die Tür, damit er den jämmerlichen Zustand seines Prinzipals nicht sähe.
    »Mit der heutigen Abendpost«, berichtete er, »ist auch ein Brief aus Tours gekommen. Wegen seiner mangelhaften Adresse ist er verspätet eingegangen. Ich glaube, er ist vom Bruder des Herrn Birotteau. Deshalb habe ich ihn nicht geöffnet!«
    »Lieber Vater!« rief Cäsarine aus. »Ein Brief vom Onkel aus Tours!«
    »Ach, ich bin gerettet!« frohlockte Cäsar. »Mein Bruder! Mein lieber Bruder!« Er drückte einen Kuß auf den Brief. Dann las er ihn laut vor:
    »Tours, den 11. Januar.
    Mein heißgeliebter Bruder!
    Dein Brief hat mich auf das tiefste betrübt. Nachdem ich ihn gelesen, bin ich in die Kirche gegangen, um dem lieben Gott zu Deinem Frieden eine heilige Messe darzubringen. Bei dem Blute, so unser himmlischer Erlöser für uns vergossen, habe ich gebetet, er möge seine Blicke gnädig und barmherzig auf Deine Not richten. Während ich das Gebet pro rneo fratre Caesare sprach, habe ich die Augen voller Tränen gehabt, dieweil ich Deiner gedachte, der ich Dir unglücklicherweise in den Tagen, da Du der brüderlichen Freundschaft so bedarfst, fern sein muß. Aber ich hoffe zu Gott, daß mich der verehrungswürdige treffliche Onkel Pillerault gewißlich vertritt. Mein lieber Cäsar, mitten in Deinen Kümmernissen vergiß nicht, daß das Leben hienieden nichts ist als ein Gang durch Prüfungen, eine Vorschule, und daß wir dereinst reichlich belohnt werden, wenn wir für den heiligen Namen Gottes und seine heilige Kirche gelitten, die Lehren der Heiligen Schrift befolgt und die Tugend geübt haben! Anders lassen sich die Dinge dieser armseligen Welt nicht erklären. Wenn ich Dir, von dem ich weiß, wie gut und fromm Du bist, diese heiligen Gebote wiederhole, so geschieht dies, weil sich die Menschen, die wie Du durch die Stürme dieser Welt fahren und gegen die tückische Brandung der menschlichen Interessen steuern – weil sich solche Menschen, von ihrem Schmerze überwältigt, in ihrem Unglücke zu Gotteslästerungen verleiten lassen können. Fluche aber weder den Menschen, die Dich beleidigen, noch Gott, wenn er es für recht befindet, Bitternis in den Kelch Deines irdischen Lebens zu träufeln! Schau nicht auf die Erde, sondern erhebe Dein Angesicht gen Himmel! Von da droben kommen dem Schwachen die Tröstungen! Dort sind die Reichtümer der Armen, dort die Schrecknisse der Reichen ...«
    »Überspring das doch, lieber Cäsar«, unterbrach ihn Konstanze, »und sieh mal zu, ob er uns was schickt!«
    »Liebe Konstanze, wir werden diesen Brief noch oftmals lesen!« sagte er ergriffen und wischte sich die Tränen aus den Augen. Um den Brief schnell zu überfliegen, schlug er ihn auf. Da fiel ein Tausendfrancsschein zur Erde.
    »Ich war ja deiner gewiß, lieber armer Bruder!« flüsterte Birotteau, indem er den Schein aufhob.
    Und mit vor Weinen schluchzender Stimme las er weiter:
    »Ich bin zu Frau von Listomère gegangen und habe sie im Namen des Barmherzigen gebeten, mir alles zu leihen, was ihr gerade zur Verfügung stehe, um meine Ersparnisse zu vergrößern. Den Zweck habe ich ihr nicht erzählt. Ihr Edelmut hat mir das Meine auf tausend Francs erhöht, die ich hiermit mit dem Segen des Heilands in Deine Hände lege...«
    »Eine kolossale Summe!« bemerkte Konstanz« bitter. Birotteau las weiter:
    »Wenn ich etliche überflüssige Dinge in meiner Lebensweise weglasse, so werde ich Frau von Listomère die mir geliehenen vierhundert Francs in drei

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