Cäsar Birotteau (German Edition)
schwarzseidene Strümpfe und Schuhe mit Bändern, deren Schleifen oft aufgingen. Sein stets zu weiter olivenfarbener Rock und sein breitkrempiger Hut gaben ihm das Aussehen eines Quäkers. Zu den Sonntagabendgesellschaften zog er seidene Kniehosen und Schuhe mit goldenen Schnallen an; seine unvermeidliche hohe Weste blieb dann oben etwas offen, um das gefältelte Spitzenjabot zu zeigen. Sein kastanienbrauner Frack hatte lange, breite Schöße. Dem Wechsel der Mode schloß er sich nur ungern und so spät wie nur möglich an.
So war Cäsar Birotteau ein Biedermann, dem das Schicksal die Fähigkeit versagt hatte, die Menschen und das Leben über das Detail hinaus zu beurteilen und sich damit über die konventionelle Oberflächlichkeit des Mittelstandes zu erheben, der allenthalben der Dummheit der Majorität folgt. Seine Ansichten kamen ihm von außen; er prüfte sie nicht nach. Er war blind, aber gut, gar nicht geistreich, aber tief religiös. Er besaß ein Kinderherz, und dieses Herz war erfüllt von einer einzigen großen Liebe, die seinem Leben Wärme und Kraft verlieh: der Liebe zu Frau und Tochter.
Frau Birotteau war damals siebenunddreißig Jahre alt. Sie glich der Venus von Milo so sehr, daß alle, die sie kannten, in der schönen Antike ihr Ebenbild sahen. Doch nur wenige Monate später hatte der Kummer ihren blendend weißen Teint gelblich getönt und die bläulichen Schatten um ihre schönen grünen Augen grausam vertieft und verdunkelt. Dadurch bekam sie Ähnlichkeit mit dem Typ altertümlicher Madonnenbilder: ein sanftes und keusches, treues und trauriges Aussehen. Man mußte sie immer noch schön nennen, diese Frau mit dem bescheidenen Auftreten voll Anstand und Würde. Auf dem von Cäsar geplanten Balle sollte sie übrigens zum letztenmal den Triumph ihrer Schönheit genießen.
Jedes Dasein hat seine Glanzperiode, während der Ursachen und Wirkungen harmonisch zusammenfließen. Dieser Lebensmittag, wo sich alle Lebenskräfte im Gleichgewicht befinden und sich immer von neuem voll erneuern, ist nicht allein den Einzelwesen beschieden, sondern ebenso Städten, Völkern, Ideen, Institutionen, Handelsunternehmungen. Alles in der Welt entsteht, blüht und vergeht in unerbittlicher Gesetzmäßigkeit. Der kluge Mensch könnte aus dem ewigen Immerwieder von Entwicklung und Verfall aus der Weltgeschichte und den tragischen Biographien großer Männer nützliche Lehren für sich ziehen. Aber nur höchst selten erfaßt einer klaren Blicks den Moment, wo das Spiel der eigenen Fähigkeiten zu ermatten beginnt. Weder Eroberer noch Künstler, noch schöne Frauen hören die mahnende Stimme. Selbst ein Napoleon hat sie nicht beachtet.
Auch Birotteau hätte merken können, daß er auf dem Gipfel seines Glücks stand. Statt dessen hielt er die Höhenrast für einen Ausgangspunkt zu noch Höherem. Er kannte sich nicht.
Vor dem Einschlafen fiel ihm ein, seine Frau könne ihm am nächsten Morgen mit allerhand Einwürfen kommen. Deshalb nahm er sich vor, recht zeitig aufzustehen, um alles ins reine zu bringen. Sobald der Tag graute, stand er geräuschlos auf, ließ seine Frau weiterschlafen, kleidete sich schnell an und ging ins Geschäft hinunter. Der Lehrling öffnete gerade die Fensterläden. Birotteau wartete auf die Kommis. Er stellte sich in die Ladentür und sah zu, wie sich Raguet, der Lehrling, bei seiner Arbeit anstellte – und Birotteau verstand sich darauf! Trotz der Kälte war das Wetter prachtvoll.
»Hol deinen Hut, Popinot, mach dich fertig und ruf Cölestin herunter! Wir beide wollen in den Tuileriengarten gehen und dort miteinander plaudern.« Popinot kam gerade die Treppe herunter.
Anselm Popinot, das prächtige Gegenstück zu du Tillet, hatte ein glücklicher Stern zu Cäsar geführt; er spielt in dieser Geschichte eine so große Rolle, daß sein Charakter geschildert werden muß.
Frau Ragon war eine geborene Popinot, Sie hatte zwei Brüder. Der jüngere war Jurist geworden und bekleidete damals die Stelle eines Kreisrichters. Der ältere hatte einen Handel mit Rohwolle angefangen und dabei sein Vermögen zugesetzt. Bei seinem Tode hinterließ er den Ragons und seinem kinderlosen Bruder, dem Richter, die Sorge für seinen einzigen Sohn, dessen Mutter im Wochenbett gestorben war. Anselm war klein und hatte einen Klumpfuß – wie Lord Byron, Walter Scott und Talleyrand. Er hatte die weiße sommersprossige Haut der Rothaarigen. Aber seine freie Stirn, seine grauen Augen, sein hübscher Mund, eine
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