Cäsar Birotteau (German Edition)
jugendlich anmutige Schüchternheit und die Zurückhaltung, die ihm sein körperliches Gebrechen auferlegte, erzeugten Beschützergefühle ihm gegenüber: wir lieben die Schwachen. Popinot erweckte Teilnahme. Der kleine Popinot – jedermann nannte ihn so – gehörte zu einer sehr frommen Familie, in der vernünftige Sitten herrschten und das Leben schlicht und gemütvoll dahinfloß. Er besaß alle Eigenschaften, die einen jungen Mann liebenswürdig machen; er war artig und herzlich, sanft wie ein Lamm, arbeitsfreudig, anhänglich und nüchtern.
Als Popinot von dem Spaziergange in den Tuilerien hörte – der Vorschlag dünkte ihm angesichts der frühen Stunde höchst merkwürdig! – glaubte er, sein Prinzipal wolle mit ihm von seiner Etablierung reden. Seine Gedanken sprangen sofort auf Cäsarine über, seine Rosenkönigin, die Verkörperung der Patronin des Hauses. Er hatte sich vom ersten Tage an sterblich in sie verliebt. Nebenbei gesagt: er war zwei Monate vor du Tillet in Birotteaus Geschäft gekommen. Als er jetzt die Treppe wieder hinaufstieg, mußte er plötzlich stehenbleiben, so wild klopfte ihm das Herz. Nach einer Weile kam er mit Cölestin, dem ersten Kommis, herunter.
Schweigsam gingen Cäsar und Anselm nach den Tuilerien. Popinot war damals einundzwanzig Jahre alt. Birotteau hatte sich in ebendem Alter verheiratet. Anselm sah also in seiner Jugendlichkeit kein Hindernis für die Heimführung seiner Cäsarine, wohl aber fürchtete er, daß seines Prinzipals Vermögen und seiner heimlichen Geliebten Schönheit der Erfüllung so ehrgeiziger Wünsche bedenklich entgegenstanden. Die Liebe aber lebt von der Hoffnung und vertraut ihr um so mehr, je unsinniger sie ist. Je weiter er sein Idol sich entfernt wähnte, desto heftiger wurde sein Verlangen. Ungeachtet der Zweifel, Bedenklichkeiten und Besorgnisse war er glücklich; aß er doch alle Mittage in Cäsarines Gesellschaft! Zu seiner Arbeit im Geschäft brachte er einen Eifer und ein Interesse mit, die ihm alles leicht machten. Er tat alles für seine Cäsarine, und so ermüdete er nie. Bei einem jungen Manne von einundzwanzig Jahren lebt die Liebe von stiller Ergebenheit.
»Das wird einmal ein tüchtiger Kaufmann, der wird es zu etwas bringen!« bemerkte Birotteau gelegentlich zu Frau Ragon, indem er Anselms Eifer in der Fabrik und im Geschäft pries und die Geschicklichkeit lobte, mit der er die kaufmännischen Finessen begriff.
Alexander Crottat, Roguins Bureauchef, bewarb sich offenkundig um Cäsarine. Sein Vater war ein reicher Gutspächter. Hier türmte sich ein neues Hindernis für Popinot auf. Aber es war nicht die schlimmste Gefahr, die er befürchtete. In der Tiefe seines Herzens ruhten traurige Geheimnisse, die ihm die Kluft zwischen Cäsarine und sich zu vergrößern schienen. Ragons Vermögen, auf das er hätte rechnen können, war gefährdet, und in seiner Dankbarkeit gab Anselm seinen Verwandten von seinem knappen Gehalt. Dennoch glaubte er an seinen Stern. Wiederholt hatte Cäsarines Blick voll Stolz auf ihm geruht, und er hatte in ihren blauen Augen schmeichelnde Versprechen zu lesen gewagt. Hoffnungsvoll und freudig erregt, schweigsam und zitternd – wie alle jungen Leute in ähnlicher Lage, für die das Leben, noch in der Knospe liegt – schritt er neben Birotteau hin.
»Geht's deiner Tante gut, Popinot?«
»Jawohl, Herr Birotteau.«
»Hm! Es will mir scheinen, als sähe sie seit einiger Zeit recht bekümmert aus. Sollte bei ihr was nicht im Lot sein? Hör mal, mein Junge, du darfst nicht zu geheimnisvoll gegen mich sein! Ich gehöre quasi zur Familie. Ich kenne deinen Onkel schon seit fünfundzwanzig Jahren. Als ich aus meinem Dorfe kam, bin ich in meinen genagelten Stiefeln zu ihm gegangen. Das Gut, aus dem ich stamme, heißt zwar Schatzhausen, aber mein gesamtes Vermögen bestand in einem einzigen Goldfuchs, den mir meine Patin geschenkt hatte, die Schloßherrin, die selige Marquise von Uxelles, eine Verwandte des Herzogs und der Herzogin von Lenoncourt, die zu unsern Kunden gehören, wie du weißt. Jeden Sonntag habe ich für sie und ihre Familie gebetet, und ihrer Nichte, der Frau von Mortsauf, schicke ich noch heute ihren Bedarf an Parfümerien in die Touraine. Sie hat mir manchen guten Kunden verschafft, zum Beispiel Herrn von Vandenesse, der alle Jahre für zwölfhundert Francs bei uns kauft. Wäre man nicht schon aus Anhänglichkeit dankbar, so müßte man es aus Berechnung sein. Na, Anselm, dir will ich wohl, ohne
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