Cäsar Birotteau (German Edition)
Fabrik hatten ihn vor der Zeit alt gemacht. Es zeigten sich bereits Falten in seinem Gesicht, und sein dichtes langes Haar war von Silberfäden durchzogen. Er hatte buschige Augenbrauen, die ihm aber nichts Furchtbares verliehen, denn darunter leuchteten ein paar klare ehrliche blaue Augen. Seine an der Wurzel eingeknickte, an der Spitze breite Nase gab seinem Antlitz etwas Affenartiges. Ähnlich wirkten seine dicken Lippen und sein massiges, derbliniges Kinn. Sein eckiges, stark gerötetes Gesicht mit den Furchen und dem schlauen Ausdruck verleugnete den Bauerncharakter nicht. Übrigens verrieten auch sein kräftiger Körperbau, seine klotzigen Glieder, der breite Rücken und die plumpen Füße den nach Paris verpflanzten Dörfler. Dasselbe bezeugten seine unförmigen behaarten Hände mit den fetten Fingern und den großen viereckigen Nägeln. Auf seinen Lippen schwebte das gefällige Lächeln, das die Kaufleute ihren Kunden gegenüber annehmen. Bei ihm war es überdies der Ausdruck seiner Zufriedenheit, seines Innern Gleichgewichts. Als Geschäftsmann war er mißtrauisch; im Geschäft hielt er Argwohn für unerläßlich; aber sein Geschäftssinn verließ ihn auf der Schwelle der Börse oder wenn er sein Hauptbuch zuklappte. Sein Gesicht zeigte eine gewisse komische Zuversichtlichkeit: mit Gutmütigkeit gemischtes Selbstbewußtsein. Dadurch wirkte er originell und unterschied sich von dem faden Typ des Pariser Spießbürgers. Ohne den leisen Zug von Naivität und Vertrauensseligkeit hätte er zuviel Respekt eingeflößt; er kam den Leuten dadurch näher, daß er auch dem Lächerlichen seinen Tribut zollte. Wenn er redete, legte er gewöhnlich die Hände auf den Rücken. Glaubte er etwas Galantes oder Witziges gesagt zu haben, dann wippte er sich zweimal mit den Fußzehen in die Höhe und ließ sich langsam wieder auf die Absätze zurückfallen, gleichsam als wolle er das Gesagte damit bekräftigen. Manchmal machte er im Eifer des Gesprächs eine rasche Drehung um sich selbst, oder er lief ein paar Schritte weg, als suche er Einwürfe, und kam dann hastig auf seinen Gegner zurück. Nie fiel er jemandem in die Rede. Bei dieser genauen Beobachtung der Konvenienz kam er freilich meist schlecht weg, denn die andern ließen ihn gar nicht zu Worte kommen, und der gutmütig Wartende hatte das Nachsehen. Während seiner langjährigen Kaufmannstätigkeit hatte er gewisse Gewohnheiten angenommen, die manche für Manieriertheit hielten. Wurde irgendein Wechsel nicht bezahlt, so übergab er ihn dem Gericht und ging rücksichtslos vor – bis zur Konkurserklärung des Schuldners. Cäsar selbst befaßte sich nicht weiter mit der Sache, als bis es galt, Forderung, Zinsen und Kosten einzustreichen. Im Falle eines Konkurses aber stellte Cäsar jedwede Verfolgung ein, erschien bei keiner Gläubigerversammlung und meldete seine Ansprüche nicht an. Dieses System und seine konsequente Verachtung für nicht mehr Zahlungsfähige hatte er von Ragon, der im Laufe seiner kaufmännischen Tätigkeit zu der Überzeugung gelangt war, daß der große Verlust an Zeit und Mühe, den Prozesse mit sich bringen, bei weitem nicht durch die magere und ungewisse Dividende aufgewogen wird, die der gerichtliche Vergleich am Ende ergibt. Man tue besser, behauptete er, seine Zeit aufs Geschäft zu verwenden, anstatt sich die Beine hinter zahlungsunfähigen oder böswilligen Schuldnern abzulaufen. »Ist der Mann redlich und erholt er sich wieder«, pflegte Ragon zu sagen, »so wird er schon von selber bezahlen. Hat er aber Unglück und kann nicht wieder in die Höhe kommen, wozu ihn dann noch quälen? Wenn er ein Schuft ist, bekommt man keinen roten Heller. Bin ich aber vorher in Geldsachen unnachgiebig, so wissen die Leute: mit mir ist nicht gut Kirschen essen! – und zahlen, so lange sie noch Geld in der Kasse haben.«
Wenn Cäsar sich mit jemandem verabredet hatte, so fand er sich zur festgesetzten Stunde pünktlich ein; zehn Minuten später aber zog er mit unerschütterlicher Unbeugsamkeit ab. Seine Pünktlichkeit machte daher auch die Leute pünktlich, die mit ihm zu tun hatten.
Seine Kleidung entsprach seinen Gewohnheiten und seiner Physiognomie. Keine Macht der Welt hätte ihn davon abgebracht, auf die weißmousselinenen Halstücher zu verzichten, deren herabhängende Enden seine Frau oder seine Tochter bestickt hatten. Seine senkrecht zugeknöpfte weiße Pikeeweste reichte weit über sein stattliches Bäuchlein hinab. Er trug blaue Beinkleider,
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