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Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)

Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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denen, die am fünfzehnten fällige Wechsel von dir in Händen haben, und schlage ihnen eine Prolongation vor. Es wird dann immer noch Zeit sein, mit Popinots Wechseln zu den Wucherern zu gehen.«
    »Morgen ist der dreizehnte!« sagte Birotteau ganz gebrochen.
    Er hatte, wie der Stil seines Prospekts gezeigt hat, ein sanguinisches Temperament, das bei Aufregungen und Nachgrübeln riesig viel Körperkraft verbraucht und durchaus des Schlafes bedarf, um diese Verluste wieder einzubringen. Cäsarine führte ihren Vater in den Salon und spielte ihm, um ihn aufzumuntern, »Rousseaus Traum«, ein sehr hübsches Stück von Herold, vor, während Konstanze mit einer Handarbeit daneben saß. Der arme Mann streckte sich auf einer Ottomane aus, und jedesmal, wenn er seinen Blick auf seine Frau richtete, antwortete ihm ein liebevolles Lächeln; so schlief er ein.
    »Der arme Mann,« sagte Konstanze, »welche Qualen stehen ihm noch bevor! Wenn er sie nur aushalten kann.«
    »Was ist dir denn, Mama?« sagte Cäsarine, als sie ihre Mutter in Tränen sah.
    »Mein liebes Kind, ich sehe den Bankrott kommen. Wenn der Vater seine Bilanz vorlegen muß, dürfen wir niemandes Mitleid mehr anrufen. Mach dich gefaßt darauf, mein Kind, ein einfaches Ladenmädchen zu werden. Wenn ich sehen werde, daß du dein Geschick mutig auf dich nimmst, dann werde auch ich die Kraft haben, ein neues Leben anzufangen. Ich kenne den Vater, er wird seinen Gläubigern auch nicht einen Heller entziehen, ich selbst werde auf meine Anrechte verzichten, es wird alles, was wir besitzen, verkauft werden. Du, mein Kind, kannst morgen deine Schmucksachen und deine Kleider zu Onkel Pillerault bringen, du bist zu nichts verpflichtet.«
    Cäsarine wurde von grenzenlosem Schrecken ergriffen, als sie diese mit frommer Selbstverständlichkeit gesprochenen Worte vernahm. Sie dachte daran, Anselm aufzusuchen, aber ihr Zartgefühl sträubte sich dagegen.
    Am nächsten Morgen fand sich Birotteau um neun Uhr in der Rue de Provence ein, von einer ganz anderen Angst gepeinigt als der, die er schon durchgemacht hatte. Kredit beanspruchen ist im Geschäftsleben eine ganz einfache Sache. Es geschieht jeden Tag, daß man, wenn man etwas unternimmt, genötigt ist, Kapital aufzutreiben; aber Prolongation zu verlangen, das verhält sich, in der kaufmännischen Jurisprudenz, dazu, wie das Polizeigericht zum Schwurgericht, es ist der erste Schritt, der zum Bankrott führt, wie das Vergehen zum Verbrechen. Das Geheimnis der Schwierigkeit und Unfähigkeit, zu zahlen, ist aus den eigenen Händen in fremde geraten. Ein Kaufmann liefert sich dem andern Kaufmann an Händen und Füßen gebunden aus, und Gutherzigkeit gehört nicht zu den Tugenden der Börse.
    Der Parfümhändler, der einst mit Augen, die von Selbstvertrauen strahlten, durch die Straßen von Paris geschritten war, zögerte jetzt, von Zweifeln geplagt, zu dem Bankier Claparon hineinzugehen; er begann allmählich zu begreifen, daß bei den Bankiers das Herz nur ein Muskel ist. Claparon erschien ihm so brutal in seiner plumpen Lustigkeit, er erinnerte sich so lebhaft an sein übles Benehmen, daß er davor zitterte, ihn anzusprechen.
    »Da er mehr zum niedrigen Volk gehört, wird er vielleicht mehr Gefühl haben!« dies war das erste böse Wort, das ihm seine verzweifelte Lage abpreßte.
    Cäsar nahm das letzte Restchen Mut, das er noch in sich fühlte, zusammen und stieg die Treppe zu einem kleinen elenden Zwischengeschoß hinauf, an dessen Fenstern er im Vorbeigehen grüne, von der Sonne verblichene Vorhänge bemerkt hatte. An der Tür las er das Wort »Bureaus« in schwarzer Schrift auf einem ovalen Schild aus Kupfer; als auf sein Klopfen niemand antwortete, trat er hinein. Die mehr als einfach ausgestatteten Zimmer sahen nach Dürftigkeit, Geiz oder Vernachlässigung aus. Kein Angestellter war hinter den messingnen Gitterverschlägen zu sehen, die in Armeshöhe auf ungestrichenem Holz angebracht waren und einen Raum mit schwarz gewordenen Tischen und Pulten abschlossen. In diesen leeren Bureaus befanden sich eine Menge von Tintenfässern, in denen die Tinte eingetrocknet war, und von Federn, die wie von Bengeln in Form von Sonnenstrahlen zerschlissen aussahen. Außerdem lagen Mappen, Papiere und Drucksachen, zweifellos alle unberührt, herum. Der Fußboden glich dem des Sprechzimmers einer Pension, so abgenutzt, schmutzig und feucht war er. Das zweite Zimmer, dessen Tür die Aufschrift »Kasse« trug, stimmte mit dem düsteren

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