Cäsar Cascabel
diese Schwalben würden sehr bald nach Süden ziehen, denn ihr Aufenthalt an den Grenzen des Polarkreises ist von äußerst kurzer Dauer.
Am 9. Juli kam die Belle-Roulotte an die Stelle, wo sich der Lewis-River durch eine weite Uferbresche in den Youkon ergießt. Wie Kayette bemerkte, trägt letzterer in seinem obern Laufe auch den Namen Pelly-River. Von der Mündung des Lewis an fließt er entschieden gegen Nordwesten, bevor er sich ganz nach Westen wendet, um seine Wasser in eine Bucht des Beringmeeres zu ergießen.
An der Mündung des Lewis erhebt sich ein Posten, Fort Selkirk, weniger bedeutend als das cirka hundert Meilen weiter thalwärts auf dem rechten Flußufer gelegene Fort Youkon.
Seit der Abfahrt von Sitka hatte die junge Indianerin wertvolle Dienste geleistet, indem sie die kleine Truppe mit merkwürdiger Sicherheit führte. Schon während ihres Nomadenlebens hatte sie diese, von dem großen alaskischen Flusse durchströmten Ebenen durchstreift. Von Herrn Sergius über ihre Kindheit befragt, hatte sie von ihrem ganzen, mühseligen Leben erzählt, von den Zeiten, wo die Indgeletenstämme von einem Ende des Youkonthales zum andern zogen, von der darauf folgenden Zerstreuung des Stammes, der Zerstreuung ihrer Familie. Und wie sie dann, gänzlich verwaist, sich notgedrungen entschlossen habe, bei irgend einem Sitkaer Beamten oder Agenten in Dienst zu gehen. Jean hatte sie wiederholt zur Erzählung ihrer traurigen Geschichte bewogen und war jedesmal tief gerührt davon.
In der Umgebung des Fort Selkirk begegnete man einigen jener Indianer, welche an den Ufern des Youkon umherschweifen, besonders solcher, welche Kayette als Birches oder Birkmänner bezeichnete. In der That wächst eine große Anzahl von Bäumen dieser Gattung unter den Kiefern, den Douglasfichten und Ahornen, welche die mittleren Gebiete der alaskischen Provinz bedecken.
Das von einigen Beamten der russisch-amerikanischen Gesellschaft bewohnte Fort Selkirk ist eigentlich bloß eine Pelz-und Kürschnerwaren-Niederlage, welche die Händler der Ufergegenden zu bestimmten Zeiten aufsuchen, um ihre Einkäufe zu besorgen.
Die Beamten, froh über einen Besuch, welcher die Eintönigkeit ihres Daseins unterbrach, empfingen das Personal der Belle-Roulotte so gut, daß Herr Cascabel sich zu einer vierundzwanzigstündigen Rast entschloß.
Indessen kam man überein, daß die Belle-Roulotte an dieser Stelle über den Youkonfluß setzen solle, um ihn nicht später und vielleicht unter weniger günstigen Umständen passieren zu müssen. In der That nahm sein Bett an Breite und seine Strömung an Schnelligkeit zu. je weiter er sich gegen Westen ausdehnte.
Es war Herr Sergius, der hierzu riet, nachdem er den Lauf des Youkon, welcher die Reiseroute zweihundert Meilen vor Port-Clarence durchschnitt, auf der Karte studiert hatte.
Eine Fähre brachte die Belle-Roulotte auf das rechte Ufer. (Seite 118.)
So brachte denn eine Fähre mit Hilfe der Agenten und der in der Umgebung des Fort Selkirk ansässigen, vom Fischfang lebenden Indianer die Belle-Roulotte auf das rechte Flußufer hinüber.
Die Ankunft der Familie erwies sich diesen Indianern als sehr nützlich; denn sie vermochte deren Hilfeleistungen durch einen Dienst zu vergelten, dessen Größe dieselben zu würdigen wußten.
Der Häuptling des Stammes war gerade schwer erkrankt – oder schien es wenigstens zu sein. Als Arzt und Arzneien aber standen ihm nur der traditionelle Zauberer und die bei den Eingeborenen üblichen Wundermittel zur Verfügung. So lag der Häuptling denn schon eine Weile auf dem Dorfplatze, wo Tag und Nacht ein großes Feuer brannte. Die um ihn versammelten Indianer beschworen den großen Manitu in Chorgesängen, während der Zauberer seine besten Künste probierte, um den in den Körper des Kranken gefahrenen bösen Geist zu verjagen. Um des besseren Erfolges willen suchte er den genannten Geist in seinen eigenen Körper zu locken; dieser aber war zäher Natur und wollte nichts von dem Wohnungswechsel hören.
Zum Glück konnte Herr Sergius, der sich ein wenig auf Medizin verstand, dem Indianerhäuptling eine Behandlung angedeihen lassen, welche seinem Zustand entsprach.
Als Herr Sergius den erlauchten Patienten untersucht hatte, stellte er seine Diagnose ohne große Mühe und nahm die kleine Reise-Apotheke in Anspruch, um ihm ein energisches Vomitiv einzugeben, welches alle Beschwörungen des Zauberers nicht ersetzt hätten.
Während der Zaubermann seine
Weitere Kostenlose Bücher