Cäsar Cascabel
Stößen erschüttert. Die Pferde stolperten fast bei jedem Schritte. Ein halber Tagemarsch hatte genügt, sie der Ruhe bedürftig zu machen.
Jeder richtete sich für die Nacht ein. (Seite 176.)
Im ganzen genommen, hatte die kleine Karawane an diesem ersten Tage höchstens zwei Meilen zurückgelegt.
Sowie der Wagen hielt, kamen Cornelia und Napoleone heraus – von Kopf zu Fuß sorgfältig vermummt, um sich vor den Folgen des jähen Überganges aus einer inneren Temperatur von zehn Grad über Null in eine äußere Temperatur von zehn Grad unter Null zu schützen. Was Kayette betrifft, so hatte sie, an die Rauheit des alaskischen Winters gewöhnt, nicht daran gedacht, sich in ihre warmen Pelze zu hüllen.
»Du mußt dich besser verwahren, Kayette!« sagte Jean zu ihr. »Du läufst Gefahr, dich zu erkälten!«
»O!« meinte sie, »ich fürchte die Kälte nicht; man ist im Youkonthale daran gewöhnt!«
»Trotzdem Kayette!«
»Jean hat recht,« mischte Herr Cascabel sich ein. »Geh ein tüchtiges Oberkleid anlegen, mein Vöglein. Und merke dirs, wenn du dich erkältest, so werde ich dich kurieren, und das wird schrecklich sein!… Ich werde nötigenfalls so weit gehen, dir den Kopf abzuschneiden, um dich am Niesen zu hindern!…«
Angesichts einer solchen Drohung blieb dem jungen Mädchen nichts übrig, als zu gehorchen, und das that es denn auch.
Dann beschäftigten sich alle mit den Vorbereitungen für die Nacht. Dieselben waren bald getroffen. Man brauchte kein Holz im Walde zu hacken, da kein Wald vorhanden war, kein Wachtfeuer anzuzünden, da es an Brennmaterial dazu fehlte, nicht einmal Gras für die Tiere zu schneiden. Die Belle-Roulotte war zur Stelle, mit ihrer gewohnten Behaglichkeit, ihren bereitstehenden Ruhelagern, ihrem gedeckten Tische, ihrer permanenten Gastfreundschaft.
Man brauchte nur Vermout und Gladiator mit einer Portion der von Port-Clarence mitgebrachten Fourage zu versehen. Dann hüllte man die beiden Pferde in dicke Decken ein und überließ sie bis zum morgigen Tage der Ruhe. Der Papagei in seinem Käfig, der Affe in seinem Hängekorbe wurden ebenso wenig vergessen wie die beiden Hunde, welche sich an gedörrtem Fleische gütlich thaten.
Endlich, als die Tiere versorgt waren, setzten Herr Sergius und seine Gefährten sich mit gutem Appetit zu Tische.
»Ei, ei!…« rief Herr Cascabel, »es ist vielleicht das erste Mal, daß Franzosen ein so trefflich serviertes Mahl inmitten der Beringstraße einnehmen!«
»Sehr wahrscheinlich,« antwortete Herr Sergius. »Aber ich rechne darauf, daß wir binnen drei bis vier Tagen wieder einmal auf festem Boden zu Tische gehen werden.«
»In Numana?…« fragte Cornelia.
»Nein, auf der Insel Diomedes, wo wir uns ein, zwei Tage aufhalten werden. Unser Gespann geht so langsam, daß es mindestens einer Woche bedürfen wird, um die asiatische Küste zu erreichen.«
Obgleich es erst fünf Uhr war, als man die Tafel aufhob, weigerte sich niemand, schlafen zu gehen. Eine lange Nachtruhe unter den Decken eines guten Bettes war nicht zu verachten nach dem mühseligen Marsche über Schnee und Eis. Herr Cascabel hielt es nicht einmal für nötig, über die Sicherheit des Lagers zu wachen. In einer solchen Einöde stand kein feindlicher Angriff zu befürchten. Auch würden die Hunde ihres Hüteramtes walten und Lärm schlagen, wenn etwaige Landstreicher – falls es deren gab – sich der Belle-Roulotte näherten.
Indessen erhob Herr Sergius sich zwei-bis dreimal, um den Zustand des Eisfeldes zu ermitteln, welchen ein jäher Temperaturwechsel immerhin verändern konnte: vielleicht war dies seine ernstlichste Sorge. Das Wetter schien sich gleich zu bleiben und eine kleine Brise aus Nordosten wehte über die Eisfläche.
Am folgenden Morgen wurde die Reise unter denselben Umständen fortgesetzt. Sie bot eigentlich keine Schwierigkeiten außer der Ermüdung. Bis zur Ruhestunde legte man drei Meilen zurück und traf dann dieselben Vorkehrungen wie am ersten Abend.
Am nächsten Tage – dem fünfundzwanzigsten Oktober – konnte man erst um neun Uhr morgens aufbrechen und auch da war es noch kaum hell.
Herr Sergius konstatierte, daß die Kälte weniger streng sei. Ein paar verworrene Wolken ballten sich am südöstlichen Horizonte zusammen. Das Thermometer zeigte eine gewisse Tendenz zu steigen, und der Luftdruck begann schwächer zu werden.
»Das gefällt mir nicht, Jean!« sagte Herr Sergius. »Solange wir uns auf dem Eisfelde befinden, dürfen
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