Cäsar Cascabel
vorausliefen, mit vorgestreckter Schnauze und unbeweglich erhobenem Schweife stehen blieben, und dann wieder zum Gespann zurückkamen.
»Es muß jedenfalls etwas Außerordentliches vor uns sein!« bemerkte Herr Cascabel.
»Die Insel Diomedes!« rief Jean.
Und er wies auf eine Felsenmasse, die einige hundert Schritte vor ihnen undeutlich emporragte.
Und den Beweis, daß Jean sich nicht irrte, lieferten zahllose schwarze Punkte, deren Farbe sich lebhaft von der Eisdecke der Felsen abhob.
»Es muß in der That die Insel sein,« sagte Herr Sergius.
»Ich meine, ich sehe die schwarzen Punkte sich bewegen!« rief Herr Cascabel.
»Sich bewegen?…«
»Jawohl!«
»Ohne Zweifel sind es mehrere Tausend Seehunde, die sich auf die Insel geflüchtet haben…«
»Mehrere Tausend Seehunde?« wiederholte Herr Cascabel.
»Ah! Herr Direktor,« rief Clou-de-Girofle aus, »welch ein Glücksfall, wenn wir uns derselben bemächtigen könnten, um sie auf den Märkten zu zeigen!«
»Und wenn sie Papa sagten!« fügte Xander hinzu.
War das nicht der Herzensschrei eines jungen Gauklers?
II. Zwischen zwei Strömungen.
Die Belle-Roulotte befand sich endlich auf festem Boden und brauchte das Zusammenbrechen des Eisfeldes nicht mehr zu fürchten. Man kann sich vorstellen, wie die Familie Cascabel den Vorteil, unerschütterlichen Grund unter den Füßen zu spüren, würdigen mußte.
Die Dunkelheit war völlig hereingebrochen. Man traf dieselben Vorkehrungen wie gewöhnlich, indem man das Lager fünf-bis sechshundert Schritte vom Ufer entfernt aufschlug. Dann befaßte man sich mit den Tieren und zuletzt mit den »Leuten von Geist«, wie Cäsar Cascabel sich auszudrücken pflegte.
Es war nicht gerade kalt. Die Quecksilbersäule wies nur mehr vier Grad unter Null auf. Eigentlich war das nicht so wichtig. Während des hiesigen Aufenthaltes hatte man nichts von einem Steigen der Temperatur zu fürchten. Man würde eben warten, bis eine niedere Temperatur das Eisfeld endgültig gefestigt haben würde. Die strenge Winterkälte konnte nicht lange auf sich warten lassen.
Da die Dunkelheit undurchdringlich war, verschob Herr Sergius die Besichtigung der Insel auf den nächsten Tag. Man war vor allem darauf bedacht, das erschöpfte, der Nahrung und Ruhe bedürftige Gespann möglichst gut zu versorgen. Als dann das Nachtmahl aufgetragen war, verlangte jeder schnell seinen Teil, denn man hatte Eile, sich nach so harten Anstrengungen auf bequemem Lager auszustrecken.
Die Insassen der Belle-Roulotte waren bald in Schlaf versunken, und in jener Nacht träumte Cornelia weder von Eisbrüchen, noch Meeresschlünden, in denen ihr rollendes Haus versänke.
Am nächsten Morgen – dem achtundzwanzigsten Oktober –, sobald es hell genug wurde, machten Herr Sergius, Cäsar Cascabel und seine beiden Söhne sich auf, um die Insel in Augenschein zu nehmen.
Was sie zunächst überraschte, war die unglaubliche Menge von Seehunden, sogenannten Biberseehunden, die sich dahin geflüchtet hatten.
In der That trifft man in diesem Teile des Beringmeeres, der im Süden vom fünfundfünfzigsten Grade nördlicher Breite begrenzt wird, die fraglichen Tiere meist in größerer Anzahl an.
Wenn man die Karte betrachtet, so wird einem gewißlich die Formation und besonders die beiderseitige Ähnlichkeit der amerikanischen und der asiatischen Küste auffallen. Sie zeigen beide dasselbe, klar ausgeprägte Profil: das Land beim Prince-of-Wales-Cap bildet ein Gegenstück zu der Tschuktschen-Halbinsel, der Norton-Sund zum Golf von Anadir; die Spitze der alaskischen Halbinsel krümmt sich wie die Halbinsel Kamtschatka und das Ganze ist durch die Inselkette der Aleuten verbunden. Und doch kann man daraus nicht schließen, daß Amerika durch irgend eine plötzliche, prähistorische Umwälzung von Asien losgerissen worden wäre, wodurch sich dann die Beringstraße gebildet hätte; denn die Vorsprünge der einen Küste decken sich nicht mit den Buchten der anderen.
In diesen Seestrichen liegen zahlreiche Inseln: die bereits erwähnte St. Laurentius-Insel, Noumivak an der amerikanischen, Karaghinskii an der asiatischen Küste; dann, nächst dem Ufer von Kamtschatka, die Beringinsel mit dem kleinen Kupfereiland, und in geringer Entfernung vom alaskischen Strande die Pribyloff-Inseln. Die Ähnlichkeit der Küsten wird also durch eine identische Anlage der Inselgruppen vervollständigt.
Die Pribyloff-Inseln und die Beringinsel dienen den in diesem Meere hausenden Seehunden ganz
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