Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
Anfang der vierten Runde knallte Ben Gor zum erstenmal mit seiner Peitsche und rief seinen Pferden aufmunternd etwas zu. Plötzlich flogen sie, wie von Zauberhänden berührt, mit langausgestreckten Hälsen und gesenkten Köpfen über den aufwirbelnden Sand immer rascher und rascher dahin, als ob sie wüßten, daß es diesmal um Leben und Tod ging. Die Distanz zwischen den beiden Wagen wurde kürzer und kürzer, und in der fünften Runde hatte Ben Gor den Spanier eingeholt. Jetzt rasten sie Achse an Achse nebeneinander her.
Ben Gors Anhänger hüpften auf ihren Bänken auf und ab, trampelten mit den Füßen und schrien sich heiser vor Begeisterung. Sie schwenkten wie wild ihre Bänder. »Gib's ihm, Ben! Gib's ihm!« brüllten sie im tausendfachen Chor.
Die Jungen schrien vor Wonne.
»Er schafft's! Er schafft's!« jubelte Caius.
Sogar ihre Wächter stimmten in das Gebrüll mit ein.
Am Ende der fünften Runde war Ben Gor schon eine halbe Wagenlänge voraus. Er fiel selbst in den Kurven nicht zurück, sondern gewann immer mehr und mehr Boden. Niemand zweifelte mehr daran, daß der römische Nationalheld der bessere Fahrer war mit den schnelleren Pferden. Der Sieg war ihm so gut wie sicher.
Doch dann geschah das Unglaubliche. In seiner maßlosen Wut, daß Ben Gor ihm den Weg abzuschneiden drohte, holte Ikarus mit seiner Bambusstange weit aus. Er tat so, als ob er seine Pferde treffen wollte, aber in Wirklichkeit zielte er auf Ben Gor und schlug ihm mit der Bronzekugel auf den Hinterkopf. Ben Gor stürzte bewußtlos von seinem Wagen nieder in die Arena. Seine Pferde schleiften ihn über den Sand an den Zügeln hinter sich her.
Ein Schrei der Empörung ging durch die Menge. Die meisten Leute sprangen auf und reckten sich die Hälse aus. Auch der Emperor erhob sich. Er sah seine zehntausend Goldstücke für verloren an.
Die Jungen waren von abgrundtiefer Verzweiflung gepackt.
»O weh, o weh«, jammerte Caius. »Das ist das Ende.«
Flavius vergrub sein Gesicht wimmernd in seine Hände. Selbst Publius erblaßte. Mucius ballte krampfhaft die Fäuste und starrte mit aufgerissenen Augen zu der Unglücksszene hinüber.
Ben Gor wurde noch immer über den Sand gezerrt, doch er kam rasch zu sich, zückte blitzschnell seinen Dolch und schnitt die Zügel durch, die ihn umschlangen. Einen Augenblick blickte er verwirrt hinter seinem Wagen und seinen Pferden her, die gerade um die Westkurve rasten und aus seinem Blickfeld verschwanden. Plötzlich sprang er auf die Beine, nahm einen Anlauf und schwang sich mit einem Riesensatz auf die Spina. Dann lief er auf die andere Seite hinüber und spähte sprungbereit nach seinen Pferden aus, die jetzt um die Kurve gerast kamen, dicht hinter dem Spanier her.
Ikarus drehte sich gar nicht um. Ohne Fahrer gab es keinen Sieg. Er ahnte jedoch nicht, daß er mit seiner niederträchtigen Handlungsweise einen unvorhergesehenen Fehler gemacht hatte. Ben Gors Pferde, von der Last ihres Fahrers befreit, fegten auf einmal wie die rächenden Erinnyen spielend leicht an ihm vorbei und ließen ihn im Nu weit hinter sich zurück, als ob sie einen Bauernwagen überholt hätten. Dann sausten sie, auch ohne Führung ihres Herrn und Meisters, gut trainiert, wie sie waren, dicht an der Mauer der Spina entlang, mit donnernden Hufen, schnaubenden Nüstern und wehenden Mähnen. In dem Bruchteil eines Pulsschlages, als sie ihn gerade erreichten, sprang Ben Gor in die Luft und warf sich krachend mit dem Oberkörper auf die Brüstung seines Wagens und klammerte sich gleichzeitig an den Seiten fest. Aber er stellte sich rasch auf, raffte die Zügel zusammen und feuerte seine Pferde durch Zurufe zu einer letzten Höchstleistung an.
Ikarus prügelte wie irrsinnig auf seine Rappen ein, um Ben Gor noch vor Toresschluß einzuholen. Es hing nämlich nur noch eine Kugel an der Säule; die entscheidende Runde war gekommen.
Ben Gor fegte zum letztenmal um die östliche Kurve herum, bog in die Gerade ein und flog auf die beiden Säulen des Endziels zu.
Ikarus haute noch tobsüchtiger auf seine Pferde ein. Das war zuviel für sie. Sie bäumten sich auf, schlugen mit den Hinterbeinen aus und zertrümmerten den Wagen. Jetzt war es Ikarus, der in der Arena landete. Er saß hilflos im Sand und mußte in ohnmächtigem Zorn zusehen, wie Ben Gor als Sieger durchs Ziel schoß.
Hunderttausend Menschen waren aufgesprungen und jubelten dem jungen Helden aus Galiläa zu, der eine drohende Niederlage durch seinen Heroismus in einen
Weitere Kostenlose Bücher