Callgirl
ganz bestimmten Sofa mit mir schlafen konnte. Es war das Sofa, auf dem seine Frau gestorben war. Glücklicherweise erzählte er mir das erst hinterher. Na gut, jedem das Seine. Im Gespräch mit einem anderen Kunden stellte sich heraus, dass er ein guter Freund meines Doktorvaters war, und auch wenn er das Geheimnis unseres Zusammenseins vermutlich genauso gut bewahrte wie ich, machte es mich trotzdem ein bisschen nervös.
Ehrlich gesagt hatte ich immer mehr den Eindruck, als würde irgendwo in meinem Kopf eine Uhr ticken und die Zeit messen, die mir in diesem Job noch blieb. Ich schlug mir nur noch selten die Nächte um die Ohren, und es machte mir auch nicht mehr so viel Spaß wie früher. Ich stand morgens so rechtzeitig auf, dass ich mich mit Espresso anstatt mit Kokain aufputschen konnte, und wenn ich nicht für Peach arbeitete, schlief ich schon vor den Elf-Uhr-Nachrichten ein.
Es war nichts, das vom Verstand kam. Es war ein reines Bauchgefühl. Vor allem hatte ich das Gefühl, dass der Job mit all seinen Unsicherheiten und Belastungen langsam von meinen Schultern glitt wie ein alter, abgetragener Mantel, der seinen Zweck erfüllt hat und allmählich aussortiert werden kann.
Ich ging zu einer Halloween-Party bei Peach. Ich war schon lange nicht mehr dort gewesen, nachdem ich mich endlich am Riemen gerissen und mir klar gemacht hatte, dass ich nicht bis fünf Uhr morgens feuchtfröhlich durchfeiern und dann erwarten konnte, am nächsten Tag gut zu funktionieren. Ich musste ein paar Mal auf die Nase fallen und haarscharf an einigen Katastrophen vorbeischlittern, bevor ich diese scheinbare Selbstverständlichkeit begriff, aber irgendwann kriegte ich die Kurve. Ich hatte schon fast vergessen, wie diese Partynächte bei Peach abliefen.
Ihre große Wohnung, der Traum jedes Architekten, war voller Menschen, die redeten, lachten und einander zuprosteten. Ich kam als Morticia Addams. Eigentlich hatte ich als Catwoman gehen wollen, aber die drei Extrapfunde standen zwischen mir und dem hautengen Katzenkostüm, also begnügte ich mich mit Morticia.
Von den Gästen kannte ich ungefähr ein Drittel. Ich wanderte herum und unterhielt mich, aß und trank und landete schließlich auf der Dachterrasse, umgeben von glitzernden bunten Lichtern, und jemand legte einige Linien Kokain auf einer Marmorplatte vor mir aus.
Plötzlich kam mir das alles vor wie aus einer anderen Zeit, irgendwie alt und überholt. Nicht schlecht, nicht negativ, nicht mal traurig – einfach alt.
Vielleicht fühlte ich mich auch nur selber alt.
Was immer der Grund gewesen sein mag, während ich dort saß, wusste ich, dass ich nicht noch wach sein wollte, wenn die Sonne aufging. Ich wollte nicht jemanden mit zu mir nach Hause nehmen und hinterher bedauern, dass ich auf Zehenspitzen herumschleichen musste, weil er bis mittags schlief. Ich hatte keine Lust auf den dicken Kopf am nächsten Morgen, auf die Kopfschmerztabletten und die dringende Notwendigkeit, mir selbst einzureden, dass es irgendwie dazugehörte, sich so grottenschlecht zu fühlen, wenn man cool war.
Was mir wirklich cool erschien, als ich dort oben saß, war der Gedanke an eine große Schüssel mit Pecannuss-Nougat-Eis, an ein gemütliches Sofa mit meiner Katze und einen schönen Agatha-Christie-Film oder eine Mystery -Folge mit Colin Dexter.
Ich weiß nicht, ob Peach mich gehen sah. Wenn ja, hatte sie keinen Grund zu der Annahme, dass diese Nacht der Anfang vom Ende sein würde.
Ich weiß nicht mal, ob ich es damals selber wusste.
Kapitel 21
Ich überlegte gerade, ob ich demnächst aus dem Job aussteigen sollte, als die Katastrophe passierte. Es hatte anfangs nicht nach einer Katastrophe ausgesehen, aber es erwies sich trotzdem als eine. Zuerst war es nur eine Verabredung mit einem Kunden.
Es war kalt: das gehört zu den Dingen, die ich von dieser Nacht in Erinnerung behalten habe.
Als ich später darüber nachdachte – und ich habe später viel darüber nachgedacht -, erinnerte ich mich an den scharfen, beißenden Wind, der einem unter die Haut ging, und daran, dass überall Schneehaufen lagen, die das Fahren und Parken zu einer Strapaze machten. Es war wirklich bitterkalt.
Deshalb war ich nicht sonderlich erbaut, als Peach mich anrief und mir mitteilte, sie hätte einen Kunden in Cambridge für mich.
Parken in Cambridge ist schon unter günstigsten Bedingungen eine echte Zumutung, und wir hatten keine günstigen Bedingungen. Das ist übrigens ein weiterer Aspekt dieser
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