Callgirl
Ich wurde häufiger angefordert als die zwanzigjährigen Blondinen. Viel häufiger. Ich trug zu ihrem Selbstverständnis bei, half ihr, sich in ihrer Nische zu etablieren. Ich würde nicht leicht zu ersetzen sein.
Ich hatte mit ihrer Hilfe auch eine Menge Geld verdient. Ich will nicht sagen, dass ich nicht in Versuchung geraten wäre, meine innere Stimme und meinen Stolz und meine Gefühle zu ignorieren und es einfach zu tun. Was soll’s? Ich spreize die Beine, stöhne »Ja, Baby, ja, oh ja!«, und dann gehe ich nach Hause und bezahle meine Rechnungen. Aber ein aktiver Verstand kam mir dabei in die Quere. Und in meinem Kopf ergab es keinen Sinn mehr.
Ich bin immer davon ausgegangen, dass das Leben leichter ist, wenn man dumm ist. Ich bleibe dabei.
Kapitel 22
Letztendlich weiß ich gar nicht genau, warum ich aufgehört habe.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob es wichtig ist. Suchen Sie sich etwas aus: Ich bin gegangen, weil ich Angst bekam oder weil man mir wehgetan hatte oder vielleicht sogar, weil ich erwachsen wurde und über die Sache hinauswuchs. Oder aus ganz vielen anderen Gründen, die mir vielleicht nicht mal selbst bewusst sind.
Letztendlich bin ich wohl gegangen, weil die Zeit einfach reif dafür war.
Der Job hatte mir gegeben, was ich brauchte. Er gab mir finanzielle Sicherheit, während ich mich auf meine eigentliche berufliche Laufbahn vorbereitete. Er gab mir Gelegenheit, mich schön und begehrenswert zu fühlen, gerade als der Zeitpunkt gekommen war, an dem mir die Madison Avenue mitteilte, dass meine besten Jahre vorbei seien. Und vielleicht gab es mir auch einen Kick, eine Weile am Abgrund zu leben, etwas Illegales und Glamouröses zu tun und davonzukommen.
Ich weiß, dass viele Frauen aussteigen und wieder anfangen, weil sie die Arbeit vermissen. Sie vermissen den Grund, aus dem sie den Job gemacht haben, oder sie fangen wieder an, weil es nicht viele andere Jobs gibt, die genauso gut bezahlt werden. Man gewöhnt sich schnell an einen aufwändigen Lebensstil, wenn man nicht aufpasst.
Ich hatte Glück, weil ich von Anfang an gewusst hatte, dass es nicht für immer war. Ich wusste, dass es eine befristete Tätigkeit
war, dass Zeit und Schwerkraft ihren Tribut von meinem Körper fordern würden und dass ich schließlich in eine Situation geraten musste, für die meine belagerte Moral keine Rechtfertigung mehr finden würde. Ich hatte von Anfang an gewusst, dass es nicht mein wirkliches Leben war. Ich denke, ich konnte es zum Teil gerade deswegen genießen, weil ich mir darüber im Klaren war, dass es vorübergehend, zeitlich begrenzt, nicht von Dauer war. Mit diesem Wissen konnte ich es verlassen, ohne mich selbst in dem Prozess zu verlieren.
Ich hatte meine eigenen Stärken, ich hatte lange Zeit allein gelebt, genau genommen schon seit Jahren, abgesehen von den Monaten, die ich mit der miesen Ratte verbracht hatte.
Nein: Wenn ich’s mir recht überlege, habe ich mich eigentlich nie so einsam gefühlt wie in den Monaten, in denen ich mit ihm zusammen war. Also zählte nicht mal diese Zeit.
Ich wusste, wie ich die Leere in meinem Innern füllen konnte. Ich ignorierte sie nicht, leugnete nicht, dass es sie gab, und ich ließ es nicht zu, dass sie meine Entscheidungen bestimmte. Als ich den Escort-Service verließ, hatte ich eine Vollzeitstelle als Lehrkraft, ich lernte Tai Chi, ich hatte mit dem Koksen aufgehört und fing an, ein neues Buch zu schreiben.
Ich will nicht behaupten, dass ich es nie bedauert hätte. Manchmal halte ich sogar heute noch gegen 19 Uhr inne und frage mich, was der Abend wohl bringen wird. Wer gerade arbeitet, welche Kunden anrufen werden, solche Sachen. Es ist sicher niemand mehr dabei, den ich kenne: Die Zeit vergeht in diesem Geschäft noch schneller als anderswo.
Doch die Namen sind nicht wichtig: Die Bedürfnisse bleiben die gleichen. Ich weiß, dass die Telefone klingeln, dass Fahrer in Vorstadtstraßen halten und Mädchen ihr Make-up im Puderspiegel überprüfen. Ich erinnere mich (ohne Bedauern) an angeberische, anspruchsvolle, wütende, Mitleid erregende oder ordinäre Kunden. Ich weiß, dass an diesem wie an jedem Abend Geld den
Besitzer wechselt. Schmale Linien Kokain werden irgendwo in einem Badezimmer ausgelegt. Callgirls sorgen für Lust, Erregung, Zauber und Verheißung. Und die ganze Zeit tickt die Uhr.
Ich halte inne und denke einen Moment daran, bevor ich achselzuckend nach draußen gehe und mich aufs Fahrrad schwinge. Oder ich packe die Kinder
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