Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
Vom Netzwerk:
glaube ich.« Meiner anschließenden Frage kam er zuvor, indem er sagte: »Er starb an den Verletzungen, die er in einer Schlacht gegen die Komantschen im Oklahoma-Territorium erlitten hatte.«
    »Und?«, fragte ich. »Interessierte er sich für Naturkunde?«
    »Nicht dass ich wüsste. Er handelte mit Biberfellen und Büffelleder, aber mehr als rein kaufmännisches Interesse hat er wohl nicht daran gehabt. Seih das hier mal für mich ab, ja? Dann gieß es in eine der Flaschen dort drüben und markiere sie mit dem heutigen Datum. Vielleicht wird das Zeug ja mit der Zeit besser. Schlechter kann es jedenfalls unmöglich werden.«
    Ich nahm ihm den Glasbecher ab und goss den Inhalt durch ein Mulltuch in eine von Mutters leeren Lady-Pinkham-Flaschen. Manchmal schaffte sie es, in kurzer Zeit eine ganze Flasche zu leeren, vor allem, wenn meine Brüder ihr auf die Nerven gingen (was häufig vorkam). Ich korkte die Flasche zu und schrieb mit einem roten Fettstift das Datum darauf: 1. Juli 1899 . Dann stellte ich sie ins Regal zu den vielen anderen mit den Ergebnissen früherer, ebenso erfolgloser Versuche.
    »Aber wie kam es dann, dass du dich für Naturkunde interessiert hast, Großpapa?«
    Er unterbrach seine Arbeit und schien aus dem Fenster zu starren, doch es war Abend, und im Dunkeln konnte man zwar durch das Sackleinen ins Innere hinein-, aber nicht hinausschauen.
    Es dauerte eine Weile, bevor er sprach. »Es geschah in der Dämmerung. Achtzehnfünfundsechzig, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Genauer gesagt, ich erinnere mich sogar besser daran als an das, was gestern war. Altwerden ist etwas Schreckliches, Calpurnia.« Er sah mich an und sagte: »Sieh zu, dass dir das nicht passiert.«
    »Nein, Sir«, sagte ich. »Bestimmt nicht.«
    »Ich war kommandierender Offizier einer Truppe von Jungen, die aus ganz Texas eingezogen worden waren. Alle waren sie gute Reiter, jeder von ihnen war sozusagen im Sattel groß geworden. Sie hatten natürlich geglaubt, sie kämen zur Kavallerie, doch dann stellte sich heraus, dass sie zur Infanterie sollten, also den ganzen Tag marschieren mussten. Mein Gott, wie haben sie sich beschwert, als sie das erfuhren! Den lieben langen Tag! Aber erfindungsreich waren sie, immer neue Flüche fielen ihnen ein. Schon einfaches Zufußgehen war ihnen verhasst, vom Marschieren ganz zu schweigen. Aber auch wenn sie noch so sehr geschimpft haben – eine zähere Truppe hat man nicht gesehen.
    Es war April, die Sonne ging unter, und wir hatten unser Lager am Sabine River aufgeschlagen, ohne Feuer zu machen. Als ich sah, dass unser Kundschafter zurückkehrte, hob ich einen Arm, um ihm stumm ein Zeichen zu geben. Da passierte etwas höchst Erstaunliches: Etwas flog mir direkt in die Hand! Überrascht schloss ich die Hand fest darum und war überrascht, als ich warmes Fell spürte. Es war eine junge Fledermaus, die starr vor Schreck zwischen meinen Fingern lag.«
    »Nein«, flüsterte ich nur. »Nein.«
    »Doch«, sagte Großpapa. »Und ich war fast so erschrocken wie das arme Tier.«
    »Was hast du gemacht?«
    »Einige Minuten lang haben das Tier und ich uns nur angeschaut. Es hatte kluge Augen und ein ganz zartes Fell. Wie ein Fuchs in Miniaturgröße sah es aus. Die Flügel waren ledrig, das schon, aber weder kalt noch abstoßend, sondern fein und geschmeidig wie ein Handschuh aus Ziegenleder, den die Hand einer Dame gewärmt hat.«
    Ich überlegte, was ich wohl tun würde, wenn mir eine Fledermaus in die Hand fiele. Vermutlich schreien und sie fallen lassen. Vielleicht sogar in Ohnmacht fallen. Ich dachte über die Möglichkeit nach. Ich war zwar noch nie in Ohnmacht gefallen, aber es klang nach einer interessanten Erfahrung.
    »Ich wickelte die Fledermaus in mein letztes verbliebenes Taschentuch und steckte sie so in mein Hemd, um sie zu wärmen. Sie wehrte sich gegen keine dieser Aufmerksamkeiten. Ich brachte sie in mein Zelt, und bevor ich schlafen ging, wickelte ich sie wieder aus und hängte sie kopfüber mit den Füßen an ein Seil, das ich in meinem Zelt gespannt hatte, um meine Kleider zu trocknen. Obwohl das Tier seine Umgebung noch immer kaum wirklich wahrzunehmen schien, umkrallten seine Füße doch das Tau, vermutlich in einer Art angeborenem Reflex, dann faltete es sorgsam die Flügel übereinander und hing dann da in der typischen Art der Fledermäuse. Ein kompaktes Päckchen, ein überraschend ordentlicher und erfreulicher Anblick. Ich ließ den Zelteingang offen, und

Weitere Kostenlose Bücher