Camel Club 02 - Die Sammler
durch zusammengebissene Zähne.
»Oh ja, ganz deutlich.«
Die Flut wüster Beschimpfungen, die der sonst so seriöse Bibliothekar daraufhin ausstieß, hätte selbst den versautesten Gangsta-Rapper der Welt bewogen, seinen Gossensprachen-Fernsehpreis an Mr. Caleb Shaw abzutreten.
Dem Wutausbruch schloss sich ein längeres Schweigen an. »Ich hör schon«, sagte Milton schließlich verblüfft, »du bist ein wenig verärgert.«
»Allerdings!« Caleb schöpfte tief Atem und zwang das Essen zum Verbleib im Magen. Langsam richtete er sich auf und streckte den Rücken, wobei ihm das Herz noch bis zum Hals schlug. Er schwor sich, dass er als Geist wiederkehren und den verdammten Technikfreak in jeder Sekunde jeden Tages heimsuchen würde, sollte ihn nun ein Herzversagen niederstrecken.
»Jewell zeigt sich nicht«, sagte er. »Ich habe eben angeklopft, da ging die Haustür auf. Hast du einen Vorschlag, was ich tun soll?«
»Ich würde sofort abhauen«, antwortete Milton spontan.
»Das hatte ich gehofft.« Caleb stieg die Stufen hinunter. Aus Angst, plötzlich angesprungen zu werden, schaute er sich nicht noch einmal um. Dann aber blieb er stehen. Wenn Jewell mit gebrochenem Hüftgelenk im Badezimmer lag oder einen Herzanfall erlitten hatte …? Trotz aller verdächtigen Hinweise mochte Caleb nicht so recht glauben, dass dieselbe nette alte Dame, die er als so begeisterte Buchliebhaberin kannte, ins Spionagegewerbe verstrickt sein sollte. Und falls doch, dann sicherlich nur als unbedarfte Irregeführte.
»Caleb? Bist du schon auf dem Rückweg?«
»Nein«, schnauzte Caleb. »Ich denke nach.«
»Über was?«
»Ob ich lieber reingehen und nach dem Rechten schauen soll.«
»Möchtest du, dass ich dich begleite?«
Caleb zögerte. Immerhin hatte Milton den Elektroschocker. Falls Jewell doch eine Spionin war und sie beide mit dem Hackmesser angriff, konnten sie der alten Krähe mit dem Taser ein solches Ding verpassen, dass sie sich überschlug.
»Nein, Milton. Bleib, wo du bist. Bestimmt ist alles ganz harmlos.« Caleb schwang die Tür vollends auf und betrat das Häuschen. Kein Mensch weilte im Wohnzimmer; ebenso wenig traf er irgendjemanden in der kleinen Küche an. Auf dem Herd stand eine Bratpfanne mit Zwiebelstückchen und Hackbraten; beides passte zum Essensgeruch, der noch in der Luft hing. Im Spülbecken sah er einen Teller, einen Becher und eine Gabel, alles schmutzig. Während Caleb ein zweites Mal durchs Wohnzimmer schlich, nahm er einen schweren Bronzekerzenständer als Waffe zur Hand und wagte sich damit in den Flur. Als nächsten Raum erreichte er das Badezimmer und schaute hinein. Der Toilettendeckel war zugeklappt, der Duschvorhang offen, und in der Badewanne lag keine blutüberströmte Leiche. Den Medizinschrank ließ Caleb unbeachtet, weil er nicht im Spiegel damit konfrontiert werden mochte, wie abscheulich feige er zweifellos aussah.
Auch das Schlafzimmer fand er leer vor; in dem schmalen Schrank türmten sich Handtücher und Bettbezüge. Nun war nur noch ein Zimmer übrig.
Caleb hob den Kerzenleuchter über den Kopf und schob die Tür mit dem Fuß auf; in der Räumlichkeit herrschte Finsternis, und seine Augen brauchten einen Moment, um sich darauf einzustellen. Auch in diesem Zimmer stand ein Bett. Caleb blieb die Luft weg. Unter der Bettdecke zeichneten sich die Umrisse einer Gestalt ab.
»Da liegt jemand im Bett«, flüsterte er. »Die Decke ist übers Gesicht gebreitet.«
»Ist sie tot?«, fragte Milton.
»Keine Ahnung, aber wieso sollte sie mit der Bettdecke auf dem Gesicht schlafen?«
»Soll ich die Polizei verständigen?«
»Warte noch einen Augenblick.«
In diesem Zimmer gab es ebenfalls einen kleineren Schrank, dessen Tür teils offen stand. Den Kerzenleuchter zum Zuschlagen bereit, bezog Caleb vor dem Schrank Aufstellung. Wieder benutzte er den Fuß, um die Tür zu öffnen, und sprang zurück. Er sah im Schrank eine Reihe von Kleidungsstücken, aber keinen Mörder.
Caleb wandte sich erneut dem Bett zu. Sein Herz raste so schnell, dass er überlegte, ob er Milton für sich den Notarzt rufen lassen sollte. Er betrachtete seine schlotternden Hände. »Nur die Ruhe, eine Leiche tut keinem was. Nur die Ruhe.« Dennoch brannte er nicht eben darauf, Jewell English als Leichnam wiederzusehen. Mit einem Mal wurde ihm etwas klar: Falls man Jewell beseitigt hatte, trug er dafür zumindest eine Mitverantwortung, denn er hatte sich daran beteiligt, die Brille zu klauen, um die Alte zu
Weitere Kostenlose Bücher