Camel Club 04 - Die Jäger
nicht mehr lebte und Alex sich als anders erwies, als sie ihn eingeschätzt hatte, war sie wieder ganz auf sich allein gestellt.
Das schien ihre Bestimmung zu sein.
Ich drück dir die Daumen, Oliver Stone.
In einem war Annabelle sich vollkommen sicher: Stone brauchte alles Glück, das er bekommen konnte.
Vielleicht galt das für sie alle.
KAPITEL 5
Eigentlich hätte Joe Knox lieber daheim in seinem Stadthaus gesessen, sich ein Bier oder einen Glenlivet gegönnt und vor dem knisternden Kaminfeuer das Buch zu Ende gelesen. Aber jetzt war er hier. Der Stuhl war unbequem, die Räumlichkeit kühl und schlecht beleuchtet, das Warten unerfreulich. Sein Blick ruhte auf der Wand gegenüber, doch in Gedanken weilte er fern dieser Örtlichkeit.
Die Besichtigung des Tatorts in Roger Simpsons Haus hatte nicht allzu viel Zeit beansprucht. Wie seinen früheren Chef bei der CIA hatte der Tod auch Simpson im Sitzen ereilt – statt im Polstersitz eines Autos allerdings auf einem zur Leiter ausklappbaren Stuhl in der Küche, die nun über und über mit dem Blut des Toten bespritzt war. Der Schuss war aus einem Rohbau auf der anderen Straßenseite abgegeben worden. Der Zeitpunkt der Hinrichtung – Knox hegte die feste Überzeugung, dass es sich um nichts anderes handelte – war auf die späten Abendstunden anzusetzen. Deshalb gab es so gut wie keine Augenzeugen.
Der einzige interessante Gegenstand war die Zeitung gewesen. Simpson war durch die Morgenausgabe der ehrwürdigen Washington Post hindurch erschossen worden, und die Kugel hatte ihn mitten in die Brust getroffen. Das war ungewöhnlich. Wie im Fall Gray geschehen, zielten die meisten Scharfschützen auf das Hirn, verließen sich gewissermaßen auf den goldenen Schuss unter allen möglichen Schüssen. Zwar konnte bei Verwendung geeigneter Munition auch ein Körpertreffer tödlich sein, doch in der Welt eines professionellen Killers genoss der Kopfschuss den gleichen Ruf wie ein treuer Hund: Er ließ einen nie im Stich.
Gray in den Kopf. Simpson in die Brust. Warum der Unterschied?
Und warum bei Simpson durch die Zeitung?
Diese Fragen hatten Knox ins Grübeln gebracht. Nicht dass ein paar Zeitungsblätter die Kugel hätten ablenken können, doch der Schütze hatte mehr oder weniger raten müssen, wo genau das Projektil einschlug. Und was, wenn Simpson ein dickes Buch vor dem Brustkorb gehabt hätte oder ein Feuerzeug in der Brusttasche? Dadurch hätte der Schuss misslingen können . Und die Mehrzahl der Scharfschützen, die Knox gekannt hatte, hielten nichts vom Raten, allenfalls im Hinblick auf die Frage, wen sie als Nächsten umlegen sollten.
Doch als er die Zeitung untersuchte, war ihm klar geworden, weshalb der Schütze die Brust seines Opfers aufs Korn genommen hatte: In die Zeitung war das Foto eines Menschen geklebt worden. Das Projektil hatte der abgebildeten Person den Kopf zerstäubt. Bei genauerem Hinsehen erkannte Knox, dass der Rest des Fotos den Oberkörper einer Frau zeigte. Wer sie war, ließ sich durch keinerlei Kennzeichnung oder Beschriftung feststellen. Er hatte mit dem Zeitungsboten gesprochen und sich erkundigt, ob ihm etwas Verdächtiges aufgefallen sei, aber der Mann hatte verneint. Und einen Hausmeister oder Verwalter gab es hier nicht.
Doch der Mörder hatte das Foto in die Zeitung geklebt, da hatte Knox keinen Zweifel.
Und das wiederum konnte nur eines bedeuten: Der Mord war aus persönlichen Motiven erfolgt. Der Mörder hatte gewollt, dass Simpson sah, warum er sterben musste und wer die Tat verübte. Es war ähnlich wie mit dem Grabstein und der Fahne bei Gray.
Knox’ widerwillige Bewunderung für den Todesschützen nahm weiter zu. So genau zu zielen, dass der Schuss das kleine Foto traf, erforderte ein unglaubliches Auge, höchste Geschicklichkeit, sorgfältige Planung und ein Maß an Selbstvertrauen, das nicht einmal die professionellsten Scharfschützen besaßen.
Knox hatte die Gerichtsmedizin angewiesen, ihn zu informieren, sollte bei der Untersuchung der Schusswunde irgendetwas Ungewöhnliches entdeckt werden. Es war so gut wie sicher, dass es nicht gelingen würde, die verbrannten Überreste des Fotos zu rekonstruieren, die das Hochgeschwindigkeitsgeschoss in die Brusthöhle des Senators gejagt hatte. Aber man konnte nie wissen. Aus Erfahrung wusste Knox, dass es oft Kleinigkeiten und unerwartete Dinge waren, mit denen man einen Verbrecher zur Strecke brachte.
Er straffte sich und stellte das Nachdenken über Gewehrschüsse
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