Camel Club 04 - Die Jäger
Haus stand dichter Wald; daneben war ein Gemüsegarten angelegt worden, in dem derzeit aber nur ein paar schiefe, kahle Gerüste für die Tomatenzucht zu sehen waren. In einem kleinen Garten hinter dem Haus stapelten sich verrostete Gartenstühle neben einem Stoß Brennholz. Die Lady hatte keine Nachbarn; ihr Haus war weit und breit das einzige Gebäude.
Vorgebeugt hockte Reuben zwischen den beiden vorderen Sitzen des Lieferwagens und beobachtete das Wohnhaus, in dem jetzt die Lichter aufflammten. »Warten wir, bis sie schnarcht, und suchen dann alles ab?«
»Warum schleichst du nicht hin und versuchst mal durchs Fenster zu lugen?«, schlug Annabelle vor.
»Ich gehe mit«, sagte Caleb.
»Weshalb?«
»Vier Augen sehen mehr als zwei.«
Reuben und Caleb schlüpften aus dem Lieferwagen und schlichen zum Haus, wobei sie sich im Schatten der Bäume hielten. Dann huschten sie zur Rückseite.
Nach fünf Minuten saßen sie wieder im Lieferwagen. »Diese Frau ist ein typisches Beispiel innerer Schönheit«, sagte Caleb sarkastisch.
»Was soll das heißen?«, fragte Annabelle.
»Er meint, dass in Shirleys äußerlich so bescheidener Hütte das Interieur völlig anders aussieht. Da gibt’s echte Ölgemälde bekannter Künstler, eine hochwertige Einrichtung, kostbare Orientteppiche und mindestens eine Skulptur in Museumsqualität.«
»Für eine Justizangestellte in einem Provinzkaff wohnt Shirley in einem wirklich erlesenen Ambiente«, sagte Reuben.
»Aber so, dass niemand es sieht«, folgerte Annabelle. »Ich wette, sie hat nie Gäste.«
»Anscheinend umgibt sie sich gern mit wertvollen, schönen Gegenständen«, sinnierte Caleb.
»Ich hätte zu gern Einblick in ihr Bankkonto«, meinte Annabelle. »Bezweifelt einer von euch, dass es proppenvoll ist?«
»Nein«, sagte Reuben. »Trotzdem wohnt sie in dieser Bude. Wieso?«
»Aus Habgier«, beantwortete Caleb die Frage. Annabelle und Reuben sahen ihn an. »Sie hat beim Gericht einen Arbeitsplatz, für den sie bezahlt wird. Aber sie will und bekommt mehr, und das würde ihr entgehen, wenn sie fortzieht.«
»Wahrscheinlich hast du recht, Caleb. Lupenreine Logik. Ich habe sie auf Anhieb für eine geldgeile Tante gehalten.«
»Die Frage ist allerdings, besteht eine Verbindung zu dem, was mit Oliver geschehen sein mag?«, fragte Reuben. »Vielleicht verschwenden wir mit ihr bloß Zeit, während Oliver in ernsten Schwierigkeiten steckt.«
»Ich glaube schon, dass es einen Zusammenhang gibt, Reuben«, sagte Annabelle. »Nach allem, was der Sheriff mir erzählte, hat Oliver hier mitten ins Wespennest gestochen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einem so kleinen Ort zwei große Geheimnisse, die nichts miteinander zu tun haben, gewissermaßen parallel existieren. Was Shirley treibt, muss mit dem Ganzen verknüpft sein. Anders ist es nicht möglich. Es ist unsere einzige Spur.«
Eine Stunde verstrich, dann noch eine. Schließlich öffnete sich die Haustür, und Shirley trat ins Freie. Sie trug eine Jeans, eine langärmelige Bluse, flache Schuhe und über dem Arm eine Handtasche. Die Schlangenlinien, in denen sie sich zu ihrem Auto bewegte, ließen vermuten, dass zumindest ein Teil des gekauften Weins schon den Weg durch ihre Kehle gefunden hatte.
»Will sie sich in diesem Zustand etwa ans Steuer setzen?«, fragte Caleb besorgt.
Als Shirley zur Ausfahrt hinausgeschossen war, folgte der Lieferwagen ihr erneut, wieder mit Caleb am Steuer. Die Fahrt führte in den Ort und hindurch. Schließlich bog Shirley ab, holperte mit dem Auto einen Weg entlang und hielt vor den kargen Trümmern des Wohnmobils.
Sie schwang den Wagenschlag auf, drückte die Handtasche an sich, wankte zu den Resten der Eingangstreppe und setzte sich auf eine Stufe. Dann griff sie in die Handtasche, holte eine Flasche Wein heraus und setzte sie an die Lippen. Sie verschluckte sich und spuckte einen Großteil des gerade Getrunkenen aus. Achtlos warf sie die Flasche in den Lehm und zündete sich eine Zigarette an. Anschließend brach sie in Tränen aus, den Kopf auf die Knie gesenkt.
»Willie!«, schluchzte sie. »Willie!«
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Shirley schrak hoch und sah Annabelle vor sich stehen. Mit dem Ärmel wischte sie sich übers Gesicht, starrte sie einen Moment lang argwöhnisch an und schüttelte dann matt den Kopf. »Mir kann keiner mehr helfen. Ist zu spät.« Fahrig deutete sie ringsum auf das Trümmerfeld.
»Ist das die Stelle, wo Ihr Sohn …?«
Shirley nickte und zog
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