Camorrista
fährt langsamer, und mein Puls geht schneller.
»Sie erwarten uns hinten«, sage ich.
Die Tankstelle ist geschlossen (also keine Toilette), nur die Selbstbedienung funktioniert. Ich mache das Fenster auf, höre Radiostimmen, die aus Lautsprechern unter dem beleuchteten Tankstellendach kommen.
Wir parken nahe der Zapfsäule für Autogas. Niemand zu sehen.
Morano steigt als Erster aus. Zwischen den kümmerlichen Bäumchen des Parkplatzes steht nur ein Lieferwagen einer Klimaanlagenfirma. Ich steige ebenfalls aus. Der Wind weht den Geruch eines vor Kurzem erloschenen Schornsteins herüber. Das Vorbeirasen der Autos klingt wie Peitschenknallen. Eine eisige Kälte erfasst mich, ich knöpfe meine Jacke zu und hole die Pistole aus dem Rucksack.
Wir bleiben beide neben dem Auto stehen, im Schatten einer Säule der Autowaschanlage.
»Ja, das sind sie«, flüstere ich.
Carabinieri.
Capitano Cassese und Maresciallo Cordoni. Beide jung, zerknittert wie Handelsvertreter am Ende eines Arbeitstags. Man macht sich im Dunkeln bekannt, gute Fahrt gehabt und so was in der Art. Ich sehe ständig zu dem Lieferwagen hin
(wenn ich daran denke, dass er da drin ist, stockt mir der Atem). Morano macht auf netten Kollegen, sagt, dass wir leider noch nicht mal einen Kaffee zusammen trinken können. Ich wünsche mir, dieser Moment wäre nie gekommen. Ich wünsche mir, ich hätte meinen Uni-Abschluss und eine andere Arbeit.
Cordoni, das ist der mit dem Bürstenschnitt und der kleinen Brille, fragt, wohin wir fahren.
»Wir übernehmen den Gefangenen hier«, sagt Morano.
»Wir haben Anweisung, ihn bis zum Bestimmungsort zu bringen.«
»Das hier ist sein Bestimmungsort.«
Cordoni scheint nichts dagegen zu haben. Es ist der andere, der sich querlegt.
»Jetzt sagen Sie mir nicht, dass dies hier der neue Aufenthaltsort des Gefangenen ist, Dottor Morano.«
»Lassen Sie den Titel weg. Von hier an steht der Gefangene unter unserem Schutz.«
»Tut mir leid, wir müssen uns an die Anweisungen halten.«
An diesem Punkt schalte ich mich ein und schlage vor, uns an die Einsatzleitung, sprich: Sovrintendente Reja, zu wenden. Der Vorschlag ist vernünftig - wenn es nicht zwei Uhr nachts wäre. Ich hoffe nur, Reja hat einen leichten Schlaf, und sein Handy ist eingeschaltet.
Er meldet sich nach dem dritten Läuten, ein bisschen genervt, doch er klingt nicht, als wäre er aus dem Schlaf hochgeschreckt. Ich erkläre ihm die Sachlage, und er sagt, er kommt sofort. Er gibt mir keine Zeit, irgendwas hinzuzufügen, und nur wenig später fährt ein Motorrad auf die Raststätte. Eins von denen, deren Auspuff wie ein Maschinengewehr klingt. Es fährt unter dem Vordach der Tankstelle durch und kommt auf uns zu.
Ich sehe, wie Cordoni eine Hand unter die Jacke schiebt. Morano dagegen trägt die Pistole im Gürtel, auf mexikanische Art, wie er es nennt.
Der Motorradfahrer macht seine Maschine aus und stellt sie auf den Asphalt. Er grüßt uns. Er trägt eine sehr eng anliegende Windjacke, mit einem Gummizug, der die Taille zusammenschnürt, und weite Hosen eines Overalls. Als er den Helm abnimmt, habe ich ihn schon an den Schultern und an seinem Macho-Gang mit den zusammengekniffenen Arschbacken erkannt. Reja hat »sofort« gesagt und hat Wort gehalten.
Der Punkt ist ein anderer: Hat er uns nicht getraut?
Ich habe keine Zeit, mich zu ärgern, denn schon schnürt mir ein noch düsterer (und überzeugenderer) Gedanke die Kehle zusammen.
Reja traut niemandem.
Ich sehe ihn zum ersten Mal richtig, als er aus dem Auto steigt. Doch es ist dunkel, der Mond ist hinter den Zypressen verschwunden, und ich habe schon den eisernen Schlüssel in das Totenschädel-Schlüsselloch gesteckt, wo er sich nicht drehen lässt, das Schloss muss zugerostet sein (geh auf, verdammt). Nichts. Ich muss die Kollegen um Hilfe bitten, aber auch bei ihnen rührt sich nichts (Gott sei Dank). Morano muss gleich stänkern.
»Konntest du das nicht heute Nachmittag ausprobieren?«
»Da ist es aufgegangen. Vielleicht hat der Frate mir einen Nachschlüssel gegeben, der nicht richtig passt.«
Morano möchte dagegen treten, Reja versucht es mit ein paar Schulterstößen, fragt mich dann, ob ich Lippenstift oder Lipgloss dabeihabe.
Mir ist irgendwie unbehaglich dabei zumute, in meinem Rucksack zu kramen und zuzugeben, etwas so Frivoles mitgebracht zu haben, etwas, das so sehr zu mir gehört. Ich bin nicht hier, ich bin nur eine Mitarbeiterin der Einheit Zeugenschutz, die den
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