Camp Concentration
für das Wissen bezahlen müssen. Das kommt davon, wenn man Zauberäpfel ißt.«
»Meinen Sie damit, daß die ... Droge, die man Ihnen gegeben hat und durch die Sie so ... Sie meinen, auch das kommt von der Droge?«
Er lächelte gequält, hob langsam die Hand und zog sich die Teufelshörner vom Kopf.
»Verdammt noch mal«, sagte Murray Sandeman (denn so heißt der begeisterte Alchimist), »warum sagst du diesem Arschloch nicht die Wahrheit?«
»Halt’s Maul, Murray!« sagte Mordecai.
»Keine Angst! Ich sag’s ihm nicht. Schließlich hab’ nicht ich ihn hergeholt. Aber da er nun einmal hier ist - ist es nicht etwas zu spät dafür, ihm die Unschuld zu bewahren?«
»Halt’s Maul!«
»Wer hat sich denn darüber aufgeregt, daß wir die Zauberäpfel essen mußten?«
Mordecai sah mich an. Im düsteren Bühnenlicht war sein dunkles Gesicht kaum zu erkennen. »Wollen Sie wirklich eine Antwort auf Ihre Frage, Sacchetti? Wenn nicht, dann sollten Sie von jetzt an nie mehr fragen.«
»Antworten Sie!« Ich fühlte mich gezwungen, mehr Mut zu zeigen, als ich hatte. (Ist Adam auf diese Weise der Versuchung erlegen?) »Ich möchte es wissen.«
»George stirbt. Er hat noch zwei Wochen zu leben, wenn er Glück hat. Wahrscheinlich kürzer, nach allem, was wir heute erlebt haben.«
»Wir alle werden bald sterben«, sagte Murray Sandeman.
Mordecai nickte. Wie stets war sein Gesicht unbewegt. »Wir alle werden bald sterben. An der Droge, die sie uns gegeben haben. Pallidin. Es zerstört das Gehirn. Bis es soweit ist, dauert es neun Monate, manchmal etwas länger, manchmal etwas kürzer. Und je mehr man zerfressen wird, desto klüger wird man. Bis man ...« Mordecai zeigte mit einer eleganten Handbewegung auf die Stelle, wo George sich erbrochen hatte.
12. Juni
Habe die ganze Nacht gekritzelt, gekritzelt, gekritzelt. Meine Reaktion auf Mordecais Enthüllung ist typisch für mich: Ich will nichts wahrhaben, stecke den Kopf in den Sand - und schreibe. Großer Gott, und wie ich geschrieben habe! Da die dumpfe Luft noch von Marlowes Pentametern geschwängert war, konnte auch ich nur in Blankversen schreiben. Habe ihnen seit meiner Schulzeit nicht mehr gefrönt. Da mir jetzt nichts mehr einfällt, genieße ich es geradezu, die Verse breitspaltig aufs Blatt zu tippen. Ein luxuriöses Gefühl - wie wenn man einen Pelz streichelt.
Schlachtopfer wie die Tauben: Sklavenknabe.
Tonscherben klappern laut bei jedem Schritt.
Das Salböl stinkt, und rittlings auf der Ziege ...
Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll (der Nebel ist zu dicht), obwohl ich dem Gedicht den (obskuren) Titel Der Hierodule gegeben habe. Das ist, wie ich vorige Woche im Oxford English Dictionary entdeckt habe, ein Tempelsklave.
Ich komme mir wie ein zweiter gottverdammter Coleridge vor, aber zu mir ist niemand aus Porlock gekommen, um mich aus dem Trancezustand aufzuschrecken. Es begann ganz harmlos damit, daß ich die vor einem Jahr entstandenen und längst ad acta gelegten Zeremonie -Gedichte wieder aufleben ließ. Aber das einzige, was diese frommen Nichtigkeiten mit dem neuen Gedicht verbindet, sind dessen Anfangszeilen mit dem Bild des Priesters, der das Tempellabyrinth betritt:
Er wendet sich nach rechts und links, er greift
nach Augen, göttlich schön. Blut fließt ins Becken ...
In den folgenden zehn Zeilen aber entwickelt es sich zurück (oder vorwärts?) zu einem Etwas, das ich mit dem besten Willen nicht nacherzählen und noch weniger analysieren kann. Es ist heidnisch, zweifellos, und vielleicht auch ketzerisch. Ich würde nie wagen, es unter meinem Namen zu veröffentlichen. Veröffentlichen! Mir ist noch so schwindlig zumute, daß ich nicht einmal beurteilen kann, ob das Versmaß stimmt. Wie sollte ich da wissen, ob das verdammte Ding druckreif ist?
Aber wie immer, wenn mir ein gutes Gedicht gelungen ist, habe ich das Gefühl, daß im Vergleich damit alles, was ich je geschrieben habe, wertloses Zeug ist. Da ist zum Beispiel eine Stelle - die Beschreibung des Götzenbildes:
O sieh das schwarze, porenlose Fleisch,
sieh das Scharnier des Rachens, von Juwelen
bedeckt, die unserm Blick es fast entziehn.
Und drinnen flüstert jetzt der Hierodule
am Gifte sterbend, was der Gott gemeint.
Ich wollte, er hätte es mir zugeflüstert.
110 Zeilen!
Mir ist, als sei bereits eine Woche vergangen, seit ich gestern nachmittag daran zu arbeiten begann.
13. Juni
George Wagner ist tot. Der versiegelte Sarg mit den Fleischfetzen, die die
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