Camp Concentration
Ärzte nicht gebrauchen können, wurde in einen schmalen Schacht geschoben, den man in den Naturfels dieser unserer Gruft gehauen hatte. Ich, die andern Gefangenen und drei Wärter nahmen teil, Haast und Busk fehlten, und nicht einmal ein Geistlicher war erschienen. Ob es in Ravensbrück Geistliche gegeben hat - was meinen Sie? So peinlich es mir selbst und den andern auch war - ich rang mir ein paar Gebete ab. Die Worte klangen dumpf und fielen schwer wie Blei in die Stille. Wahrscheinlich liegen sie noch immer auf dem rauhen Boden der Krypta.
Dieses unterirdische, schwachbeleuchtete Grabgewölbe mit den rund zwanzig leeren Nischen übte auf die Gefangenen die unwiderstehliche Faszination eines Memento mori aus (vergleichbar den Sargnischen in den Gängen eines Kartäuserklosters). Wahrscheinlich sind sie aus diesem makabren Grund, und nicht, weil sie um den Toten trauern, zur Bestattung gekommen.
Als die andern hinausgegangen waren in die geometrische Stille unserer Korridorwelt, legte Mordecai die Hand auf die Felswand (die sich nicht kalt wie Stein, sondern warm wie Fleisch anfühlte) und sagte: »Sedimentgestein.« Ich hatte erwartet, er würde »Leb wohl« sagen.
»Kommen Sie!« sagte einer der Wärter. Ich bin jetzt lange genug hier, um die Wärter unterscheiden zu können; der gesprochen hatte, war ›Felsauge‹. Seine Kameraden waren ›Furzer‹ und ›Emsig‹.
Mordecai bückte sich und hob einen faustgroßen Gesteinsbrocken auf. Emsig nahm die Pistole aus dem Etui. Mordecai lachte. »Ich plane keinen Aufstand, Herr Wachtmeister, wirklich nicht. Ich möchte nur dieses hübsche Stück Breccie für meine Steinsammlung haben.« Er steckte es ein.
»Mordecai«, sagte ich, »was Sie mir nach der Probe erzählt haben ... Wie lang wird es noch dauern ... Wie lang glauben Sie, daß Sie noch ...?«
Mordecai, schon an der offenen Tür, blickte zurück - eine dunkle Silhouette vor dem Neonlicht des Korridors. »Ich habe bereits sieben Monate hinter mir. Sieben Monate und zehn Tage. Mir bleiben also noch fünfzig Tage - falls ich nicht frühreif bin.« Er ging über die Schwelle, wandte sich nach links und war verschwunden.
»Mordecai!« Ich wollte ihm nachlaufen.
Felsauge versperrte mir den Weg. »Nicht jetzt, Mr. Sacchetti! Sie haben eine Verabredung mit Dr. Busk.« Furzer und Emsig nahmen mich in die Mitte. »Folgen Sie uns bitte!«
»Das war sehr töricht von Ihnen, sehr unklug und sehr unbedacht.« Dr. Aimée Busk wiederholte sich im ernsten Ton eines Erziehungsberaters. »Nein, ich meine nicht Ihre Fragen den armen jungen George betreffend. Sie sagen ja selbst, daß es uns nicht mehr lange gelungen wäre, diesen Aspekt des Experiments vor Ihnen geheimzuhalten. Sehen Sie, wir hatten gehofft, ein ... Gegenmittel zu entdecken. Bedauerlich. Nein, diesen Vorfall habe ich nicht gemeint, denn wenn Sie auch noch so sehr gegen das protestieren, was Sie unsere Unmenschlichkeit nennen, so können wir uns doch auf genug Präzedenzfälle berufen. Seit es medizinische Forschung gibt, ist ihr Fortschritt mit dem Blut von Märtyrern bezahlt worden.« Sie genoß die Wirkung ihrer Worte.
»Aber wenn das nicht der Grund ist, warum wollen Sie mir dann eigentlich eine Gardinenpredigt halten?«
»Wegen Ihrer sehr törichten, sehr unklugen, sehr unbedachten kleinen Entdeckungsreise in die Bibliothek.«
»Sie passen aber genau auf!«
»Ja, natürlich. Stört es Sie, wenn ich rauche? Nein? Danke.« Sie steckte eine zerdrückte Camel in einen kurzen Kunststoffhalter, der früher einmal durchsichtig gewesen war, jetzt aber die gleiche dunkelbraune Färbung hatte wie ihr Zeige- und Mittelfinger.
»Ob ich hier im Who’s Who nachschlage oder erst nach meiner Entlassung - Sie müssen doch zugeben, daß man sich die Information leicht beschaffen kann.«
Was ich im Who’s Who gefunden hatte (jetzt kann ich es wohl offen sagen), ist der Name der Stiftung, die Haast zum Vizepräsident der Abteilung Forschung &
[Hier wurden zwei Zeilen der Aufzeichnung Louis Sacchettis unleserlich gemacht. - Der Herausgeber.]
»Ist das Mangel an Vertrauen? Oder wollten Sie uns irreführen?« fragte Dr. Busk in sanft-vorwurfsvollem Ton. »Wenn hier überhaupt von Irreführung die Rede sein kann, dann trifft der Vorwurf allerdings auch mich selbst. Aber ist das im Grund nicht ein moralisches Problem? Wir haben lediglich versucht, Sie bei guter Laune zu halten, damit Ihre Arbeit nicht durch unnötige Angstgefühle behindert wird.«
»Das
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