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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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heißt, daß Sie von Anfang an vorhatten, mich nie aus dem Lager Archimedes zu entlassen?«
    »Nie? Jetzt dramatisieren Sie die Angelegenheit. Natürlich werden wir Sie rauslassen. Früher oder später. Sobald die Stimmung draußen günstiger sein wird. Sobald unsere PR-Abteilung von dem Experiment überzeugt ist. Dann werden wir Sie nach Springfield zurückschicken. Und da wir ziemlich sicher in spätestens fünf Jahren soweit sein werden, vielleicht sogar schon in fünf Monaten, sollten Sie dankbar sein, daß Sie diese Zeit hier verbringen dürfen, wo Sie Zeuge des Fortschritts sind, und nicht in Springfield, wo Sie sich so gelangweilt haben.«
    »Jawohl, ich sollte dankbar dafür sein, daß ich Zeuge Ihrer Morde sein darf. Stimmt’s?«
    »Wenn Sie es allerdings so sehen wollen ... Aber Sie sollten inzwischen gelernt haben, daß die Welt die Dinge anders sieht als Sie, Mr. Sacchetti. Sollten Sie versuchen, wegen des Lagers Archimedes einen Skandal zu machen, dann werden Sie wahrscheinlich auf ebensowenig Verständnis stoßen wie damals bei Ihrer Gerichtsverhandlung. Natürlich werden Sie ein paar andere Paranoiker finden, die Ihren mutigen Reden zuhören werden, aber die meisten Leute nehmen Kriegsdienstverweigerer und ihre Gewissensgründe einfach nicht ernst.«
    »Die meisten Leute nehmen ihr eigenes Gewissen nicht ernst.«
    »Das ist zwar eine andere These, aber sie läuft auf das gleiche hinaus, nicht wahr?« Dr. Busk wölbte ironisch die dünnen Brauen und erhob sich im gleichen Moment von dem niedrigen Sitz. Ihr steifes graues Kleid knisterte, als sie es nervös glattstrich.
    »Sonst noch was, Mr. Sacchetti?«
    »Als wir zum erstenmal darüber sprachen, sagten Sie, Sie würden mir die Wirkung der Droge, sprich Pallidin, näher erklären.«
    »Also gut.« Sie nahm wieder auf dem schwarzen Ledergitter Platz, setzte ein Lehrerinnenlächeln auf und begann ihren Vortrag.
    »Der auslösende Faktor dieser Krankheit, die man eigentlich gar nicht so nennen sollte, da sie so viel Gutes bewirkt, ist ein Virus, eine Spirochäte, die der Treponema pallida verwandt ist. Hier wird sie, wie Sie wissen, als ›Pallidin‹ bezeichnet, womit man freilich an der Tatsache vorbeigeht, daß die Krankheit keineswegs durch ein Pharmazeutikum hervorgerufen wird, sondern durch einen zellenbildenden Organismus. Kurz, durch ein Virus. Vielleicht haben Sie schon von Treponema pallida gehört? Man spricht auch von Spirochaeta pallida. Nein? Die Wirkung kennen Sie aber bestimmt. Die Treponema pallida ist der Erreger der Syphilis. Aha, jetzt geht Ihnen ein Licht auf! Der Virus, mit dem wir es bei unserem Experiment zu tun haben, ist gewissermaßen eine Spielart, ein später ›Ableger‹ der sogenannten Nicols-Variante, die 1912 aus dem Gehirn eines Syphilitikers isoliert und im Blutplasma von Kaninchen am Leben erhalten wurde. Die unzähligen Generationen von Nicols-Spirochäten, die sich in diesen Versuchstieren entwickelten, waren Gegenstand intensivster und geradezu enthusiastischer Forschungsarbeit. Besonders seit 1949. In diesem Jahr entwickelten unsere Landsleute Nelson und Mayer die sogenannte T.P.I., den verläßlichsten Test für die Früherkennung der Syphilis. Das ist aber nur die Vorgeschichte. Das Virus, das George den Rest gegeben hat, ist so verschieden von der Nicols-Variante wie diese von der guten alten Treponema pallida.
    Es wird Sie kaum überraschen, daß die Erforschung der kleinen Welt der Spirochäten am eifrigsten von der Armee betrieben wurde. Viele guten Soldaten sind von diesem mikroskopisch kleinen Feind besiegt worden, bevor man im Zweiten Weltkrieg aus der Entdeckung des Penicillins Nutzen zog. Aber auch dann wurde weitergeforscht. Vor etwa fünf Jahren beschäftigte sich ein Team von Wissenschaftlern im Auftrag der Armee mit der Frage, ob in den Fällen, in denen Penicillin entweder nicht angewandt werden kann oder nicht anspricht - letzteres traf damals auf etwa drei Prozent der Patienten zu -, eine Strahlentherapie möglich ist. Für die Versuche wurden natürlich Kaninchen benutzt. Zu ihrem Staunen stellten die Wissenschaftler fest, daß dabei neue Abarten entstanden. Diese Entwicklung hatte nichts mit Fortpflanzung zu tun, sondern wurde bewirkt durch fortgesetzte Bluttransfusionen, also durch die ständige Übertragung von Spirochäten. Für eine dieser Abarten war es charakteristisch, daß die Tiere an Orchitis erkrankten, gleichzeitig aber - trotz ihres körperlichen Verfalls - erstaunlich schlau

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