Camp Concentration
Mitteilung von Haast: »Gut gemacht, Louie! Lassen Sie sich von der nichts gefallen! Nächste Woche werden wir’s diesem eingebildeten Biest zeigen! Verlassen Sie sich drauf!
Beste Grüße! H. H.«
15. Juni
Hier spricht euer alter Freund Louie Nummer zwei (oder, allgemeinverständlich ausgedrückt, Louis der Doppelgänger), und er hat wunderbare Nachrichten für euch, die ihr an Angst und Angina leidet, für euch, die ihr vom Gewissen und von Gott geplagt seid, für euch, die ihr kranke Körper und Seelen habt, und für euch, bei denen es mit dem Sehen nicht recht klappt; ihr könnt das ganze Sorgenbündel wegwerfen! Weil nämlich - mein Ebenbild, mon frère! - im Mittelpunkt der Dinge nichts ist als quälende Leere, halleluja! Und sie ist nicht einmal mehr quälend, im Gegenteil, sie tut bereits wohl! Das ist das Geheimnis, von dem die alten Heiden wußten, das ist die Wahrheit, die uns frei macht, euch und mich. Sagt es dreimal am Morgen und dreimal am Abend: Es gibt keinen Gott, hat ihn nie gegeben, wird ihn nie geben, in Ewigkeit, Amen.
Willst du’s bestreiten, alter Adam Louie I.? Dann lies doch dein eigenes Gedicht, das, von dem du gesagt hast, du kannst’s selbst nicht verstehen. Ich verstehe es: das Götzenbild ist hohl, seine Stimme ist nachgemacht. Es gibt keinen Baal, mein Freund, nur den Menschen, der in Seinem Abbild flüstert und Ihm deine Worte in den Mund legt. Ein Mischmasch aus Anthropomorphismen! Leugne es doch! Deine ganze Frömmigkeit und dein ganzer Verstand reichen dazu nicht aus, mein Kleiner!
Und meine Güte, meine Güte - diese preziösen, speichelleckerischen Gedichte, mit denen du deinem angeblichen Papi im Himmel in den goldenen Hintern kriechst! Alles Scheiße, stimmt’s? Jahrelang hast du eins aufs andere gehäuft, wie der komische kleine Vogel (bei Augustinus, nicht wahr?), der versuchte, einen Berg zu versetzen, Steinchen um Steinchen, Jahrtausend um Jahrtausend, und als er das letzte Körnchen bewegt hatte, war nicht einmal ein Augenblick der Ewigkeit vergangen. Aber du Spatzenhirn hast dich gar nicht an Berge herangewagt! Die Hügel der Schweiz - und wie soll die Fortsetzung heißen? Die Aborte des Vatikans?
Haha, aus weiter Entfernung höre ich dich sanft protestieren: »Der Narr denkt, es gibt keinen Gott.«
Und der Weise spricht es aus.
Später, viel später:
Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß es mir seit gestern ziemlich schlecht geht. Ich habe, glaube ich, in diesem Tagebuch schon einmal erwähnt, daß ich der Meinung war, Dr. Mieris habe mich von der Migräne befreit. Ich hatte auch geglaubt, er habe mich von Zwischenspielen wie dem obigen geheilt.
Glauben.
Glaubte.
Geirrt.
Der Boden unter mir schwankt noch. Ich habe mich zwar wieder einigermaßen gefangen, weiß aber nicht, wie lange meine Selbstbeherrschung dauern wird. Ich bin übernächtigt, ausgelaugt von seinen Exzessen; mein Kopf schmerzt; es ist spät.
Ich bin durch die Gänge, Gänge, Gänge gelaufen. Habe über das, was Dr. Busk gesagt hat, nachgedacht, bis Louie II. mich gezwungen hat, ernstere Dinge zu bedenken. Ihm habe ich nicht geantwortet, weil dieser Teufel ein ebenso guter Theologe ist wie ich. (Eine Tautologie.)
Dann also Schweigen. Aber bedeutet schweigen nicht fast das gleiche wie eine Niederlage zugeben? Allein und unbehaust mangelt es mir an Würde; das ist das ganze Problem.
O Gott, vereinfache diese Gleichungen!
16. Juni
»Morituri te salutamus«, sagte Mordecai, als er grinsend die Tür öffnete, und ich, völlig geistlos, fand darauf keine bessere Antwort, als mit dem Daumen nach oben zu zeigen.
»Quid nunc?« fragte er, als er die Tür zumachte, und ich wußte darauf erst recht keine Antwort. Denn ich besuchte ihn eigentlich nur, um mich nicht mit dem ›Was nun?‹ beschäftigen zu müssen. »Nächstenliebe«, sagte ich. »Aus welchem anderen Grund sollte ich Licht in Ihre düstere Zelle bringen wollen?« Eine poetische Note, die, da sie nicht ankam, die Düsternis nur noch verstärkte.
»Ein Schuß Nächstenliebe neutralisiert die Säure des Selbstzweifels«, sagte Mordecai.
»Bekommen Sie denn auch eine Ablichtung meiner Aufzeichnungen?«
»Nein, aber ich unterhalte mich oft mit Haast, und wir machen uns Sorgen um Sie. Da Sie aber sowieso nichts in Ihr Tagebuch schreiben, was Sie wirklich geheimhalten wollen, braucht Sie das nicht zu stören. Ihr Problem, Sacchetti, ist Ihr geistiger Hochmut. Sie gefallen sich darin, aus jedem Gefühlchen, das Sie irgendwo juckt,
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