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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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...«
    Hinter einem Schleier aus Zigarettenrauch lächelte Dr. Busk rätselhaft. »Vielleicht existiert der vielzitierte kleine Schritt zwischen Genie und Wahnsinn nur in der Einbildung; vielleicht hat der Wahnsinnige nur das Pech, nicht recht zu bekommen. Aber ich kenne jetzt Ihre Meinung und will Ihnen antworten. Sie glauben also, daß Genialität nur zu einem Prozent aus Inspiration besteht und daß der Denkvorgang, der zu jenem ›Heureka!‹ führt, das Entscheidende ist. Kurz gesagt, der Erziehungsprozeß, der das Genie mit der Realität bekanntmacht.
    Aber damit bestätigen Sie doch nur, was ich gesagt habe. Erziehung ist, wie das Gedächtnis selbst, nichts anderes als die Rekapitulation aller Genieleistungen in einem bestimmten Kulturkreis. Erziehung bedeutet immer, daß überkommene Kategorien aufgebrochen und mit neuen Inhalten gefüllt werden. Und wer hat, genaugenommen, ein besseres Gedächtnis als der Katatoniker, der einen Teil der Vergangenheit bis in alle Einzelheiten nacherlebt und dabei den gegenwärtigen Augenblick völlig auslöscht. Ich könnte sogar noch weitergehen und behaupten, daß das Denken selbst eine Krankheit des Gehirns ist, eine physische Verfallserscheinung.
    Wenn das Genie das Produkt eines kontinuierlichen Vorgangs wäre und nicht das, was es wirklich ist, ein Zufallsprodukt, dann wäre es für uns völlig wertlos. Mathematische Genies sind in der Regel spätestens mit dreißig Jahren verbraucht. Das Gehirn wehrt sich gegen die zersetzende Wirkung schöpferischen Denkens; es beginnt steril zu werden. Ideen erstarren zu Begriffssystemen, die keinerlei Veränderung dulden. Denken Sie zum Beispiel an Owens, den großen Anatomen der viktorianischen Ära, der Darwin einfach nicht verstehen wollte. Das ist reiner Selbsterhaltungstrieb!
    Aber denken Sie auch daran, was geschieht, wenn ein Genie sich nicht zu zügeln weiß, sondern sich immer von neuem ins Chaos der freien Assoziation stürzt. Ich meine den von euch Literaten so vergötterten James Joyce. Ich kenne zahlreiche Psychiater, die Finnegans Wake mit gutem Gewissen als Dokument des Wahnsinns bezeichnen und den Autor, wäre er noch am Leben, allein wegen dieses Buches in eine Anstalt schicken würden. Ein Genie? Sicher. Aber wir gewöhnlichen Sterblichen haben genug gesunden Menschenverstand, um einzusehen, daß Genialität eine Gefahr für die Gesellschaft ist, eine Krankheit wie der Tripper, und wir ergreifen die notwendigen Maßnahmen. Wir fassen unsere Genies sozusagen in Isolierstationen zusammen, um uns vor Ansteckung zu schützen.
    Wenn Sie noch mehr Beweise wollen, brauchen Sie sich nur hier umzusehen. Lauter Genies - und was ist ihre Hauptbeschäftigung? Für welchen edlen Zweck setzen Sie dieses ungeheure Intelligenzpotential ein? Für Hirngespinste! Für das Studium der Alchimie!
    Natürlich weiß ich, daß vor ihnen noch niemand, nicht einmal Doktor Faustus, sich mit einer derart scharfen Intelligenz, mit soviel Urteils- und Erkenntnisfähigkeit der Geheimwissenschaft gewidmet hat. Mordecai weist ja immer gern darauf hin, daß viele Jahrhunderte lang die raffiniertesten Rätselerfinder und die verschlagensten Dunkelmänner an diesen Verschlüsselungen gearbeitet haben. Der Versuch, ihnen auf den Grund zu kommen, könnte selbst für die größten Geister den Untergang bedeuten. Daß trotzdem alles schrecklicher Unsinn ist, wissen Sie und ich und Mordecai Washington ganz genau.«
    »Haast scheint anders darüber zu denken.«
    »Daß Haast ein verdammter Idiot ist, wissen wir alle.« Sie drückte den Zigarettenstummel aus.
    »Da bin ich nicht so sicher.«
    »Das sagen Sie nur, weil er Ihr Tagebuch liest. Ich übrigens auch. Aber was Sie bereits geschrieben haben, können Sie nicht gut ableugnen. Sie haben geschrieben, was Sie von Mordecais Ideen halten und daß er Ihrer Meinung nach Haast etwas vormacht.«
    »Vielleicht bin ich aufgeschlossener, als Sie denken. Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, werde ich mit meinem endgültigen Urteil über Mordecais Theorien noch etwas warten.«
    »Sie sind ein größerer Heuchler, als ich dachte, Sacchetti. Von mir aus können Sie jeden Unsinn glauben und lügen, soviel Sie wollen. Ist mir egal. Aber diesen Scharlatan werde ich sehr bald entlarven!«
    »Darf man fragen wie?«
    »Ist schon alles geplant. Ich werde dafür sorgen, daß Sie einen Logenplatz bekommen!«
    »Und wann soll das stattfinden?«
    »Natürlich in der Johannisnacht! Wann sonst?«

    Später
    Eine handschriftliche

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