Camp Concentration
eine spirituelle Haupt- und Staatsaktion zu machen. Verdammt noch mal, wenn Ihr Glaube wackelt, dann gehen Sie doch zum Zahnarzt und lassen Sie ihn sich ganz rausziehen. Weh tut es nur, wenn Sie damit spielen.«
»Mordecai, ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihre Probleme kennenzulernen. Meine eigenen möchte ich vergessen.«
»Schon gut. Also, machen Sie sich’s bequem. Meine Probleme reichen für uns beide.« Er ließ einen schrillen Pfiff ertönen und rief: »Opsi! Mopsi! Wuschelschwanz! Kommt her und gebt eurem neuen kleinen Bruder das Händchen!« Und zu mir gewandt: »Darf ich Ihnen meine drei Schutzgeister vorstellen? Meine feuerspeienden Drachen?«
Aus der schwülen Dunkelheit des Zimmers (es war nur von drei Kerzen beleuchtet, zwei auf dem Tisch hinten an der Wand, eine in Mordecais Hand) hoppelten drei Kaninchen, eins reinweiß, die andern gefleckt.
»Opsi«, sagte Mordecai, »gib meinem Freund Donovan das Pfötchen.«
Ich kauerte mich auf den Boden, und das weiße Kaninchen hoppelte etwas näher, schnupperte eifrig, machte Männchen und streckte mir die rechte Vorderpfote hin, die ich mit Daumen und Zeigefinger schüttelte.
»Sehr erfreut, Opsi!«
Opsi zog die flaumige Pfote zurück und sprang zur Seite.
»Wieso ›Opsi‹?« fragte ich.
»Abkürzung für Opsimat. Einer, der erst spät im Leben zu lernen beginnt. Mopsi, jetzt bist du dran!«
Das zweite Kaninchen, schwarz und braun gefleckt, kam näher. Als es sich auf die Hinterbeine stellte, fielen mir an seinem Unterkörper unverhältnismäßig große euterähnliche Gebilde auf.
Auf meine Frage sagte Mordecai: »Orchitis. Hodenentzündung. Das ist der Preis, den sie für ihre Klugheit zahlen.«
Ich ließ Mopsis Pfote so rasch los, daß die drei Kaninchen vor Schreck in ihre Verstecke flohen.
»Sie brauchen sich nicht vor Ansteckung zu fürchten. Nur Ihre Finger dürfen Sie jetzt nicht in den Mund stecken ... Spirochäten brauchen Wärme und Feuchtigkeit. Deshalb sind die venerischen Krankheiten so venerisch. Sie können mein Desinfektionsmittel verwenden. Aber zuerst möchte ich Ihnen Wuschelschwanz vorstellen. Er muß sich ja ganz verunsichert fühlen, wenn Sie ihn derart schneiden.«
Widerstrebend begrüßte ich Wuschelschwanz, dann wusch ich mir die Hände mit Seife und kaltem Wasser.
»Wo ist Peter?« fragte ich, während ich mich zum zweitenmal einseifte.
»Freund Hein hat ihn erwischt«, sagte Mordecai aus der Dunkelheit. »Die Kaninchen halten nicht so lang durch wie wir. Zwei, drei Wochen, und weg sind sie!«
Als ich aus dem Neonlicht im Bad zurück ins Zimmer ging, konnte ich eine Weile überhaupt nichts erkennen. »Sie sollten’s mal mit Gaslicht probieren, Mordecai. Eine großartige Erfindung unseres modernen Zeitalters.«
»Ich verwende es tatsächlich. Immer dann, wenn’s mir nicht vor den Augen flimmert. Aber an Tagen wie heute tut mir jeder Lichtschein weh. Als ob tausend Nadeln meine Augäpfel durchbohrten. Soll ich Ihnen von meinen andern Krankheiten erzählen? Werden Sie mich dann bemitleiden?!«
»Wenn es Ihnen wohltut.«
»O ja, es wird mir eine Wohltat sein, ein Luxus geradezu! In den ersten zwei Monaten geschah nichts, was besonders erzählenswert wäre. Ein paar Zahngeschwüre, ein bißchen Ausschlag, ein paar Schwellungen - nichts Außergewöhnliches für einen notorischen Hypochonder. Im dritten Monat bekam ich Laryngitis, und gleichzeitig entwickelte ich ein ungeheures Interesse für Mathematik. Als Hobby für Stumme sehr geeignet, was? Kurz danach begann meine Leber zu verrotten, und das Weiße in meinen Augen wurde gelb. Seitdem lebe ich von Kartoffelbrei, gekochtem Obst, raffinierten Süßspeisen und ähnlichem Fraß. Kein Fleisch, kein Fisch, kein Alkohol. Nicht daß ich auf Alkohol scharf wäre. Geistige Anregung habe ich auch so genug, nicht wahr? Während der Leberentzündung bekam ich meinen ersten großen Literaturfimmel und lernte Französisch und Deutsch. Damals schrieb ich auch die Geschichte, die ich Ihnen schon lange zeigen wollte. Gehen Sie nicht ohne das Manuskript weg, Sacchetti! Haben Sie gehört?«
»Ich wollte Sie sowieso darum bitten.«
»Im vierten Monat bestand ich nur noch aus Krankheiten. Wenn man rückblickend davon spricht, wird’s problematisch, weil man dazu neigt, sie einzeln zu beschreiben. In Wirklichkeit haben die verschiedenen Phasen der verschiedenen Krankheiten einander überlagert. Die Zahngeschwüre und der Ausschlag hörten nicht auf, bloß weil irgend etwas Neues sich
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