Camp Concentration
warum antworten Sie nicht?
Wissen - wie steht’s damit? Davon wollen Sie offenbar auch nichts hören. An diesem Apfel überißt man sich leicht, was?
Es bleibt also nur noch die Liebe übrig, das Bedürfnis, für jemanden anderen eine Art Erdnußbutter zu sein. Wie leidenschaftlich das Ich danach verlangt, seine engen Grenzen zu sprengen und sich wie eine Paste über andere zu verteilen. Beachten Sie bitte, daß ich mich sehr allgemein ausdrücke. Wenn man über Liebe spricht, ist es immer ratsam, nicht auf bestimmte Erscheinungsformen einzugehen, weil man sonst nicht objektiv bleiben könnte. Nehmen Sie zum Beispiel die Liebe, die man gegenüber der Mutter empfindet. Sie gilt als Musterbeispiel menschlicher Liebe, aber man kann nicht an sie denken, ohne sich zugleich vorzustellen, daß man an der Mutterbrust saugt. Und auch bei der Erörterung der Gattenliebe kommt man nicht um Pawlows gräßliche Belohnungstheorie herum. Wenngleich es sich hier bei der Belohnung nicht mehr um Erdnußbutter handelt. Es gibt natürlich kompliziertere Arten der Liebe, aber auch für die exaltierteste und ebenso für die selbstloseste gilt, daß sie in unserer allzumenschlichen Natur wurzeln. Denken Sie an die Verzückungen, die die hl. Theresa hinter Klostermauern erlebte, wenn sich der himmlische Bräutigam auf sie herabsenkte. Wenn Freud nicht gewesen wäre, wären wir alle viel glücklicher! Sagen Sie etwas zur Verteidigung der Liebe, Sacchetti! Warten Sie nicht, bis es zu spät ist!
Werte! Das also sind Ihre Werte! Kein einziger davon dient einem anderen Zweck, als uns in der Tretmühle des Lebens festzuhalten und das Räderwerk wie eh und je weiterlaufen zu lassen. Der unablässige Kreislauf der Nahrung, der ständige Wechsel von Tag und Nacht, der unabänderliche Weg vom Ei zur Henne, von der Henne zum Ei, vom Ei zur Henne!
Wollen Sie denn nicht manchmal ausbrechen?
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Sein Monolog. Fortsetzung.
Es schadet gar nichts, daß Gott endlich tot ist. Er war so selbstgefällig! Einige Literaturwissenschaftler haben es seltsam gefunden, daß Milton nicht mit Gott, sondern mit dem Satan sympathisiert hat, aber das ist doch gar nicht verwunderlich! Selbst der Evangelist stiehlt das Feuer seiner Überzeugungskraft öfter aus der Hölle als aus dem Himmel. Ihr widmet er jedenfalls viel mehr Aufmerksamkeit. Sie ist eben viel interessanter, um nicht zu sagen wichtiger. Die Hölle kommt der Wirklichkeit näher, als wir denken.
Und um noch ehrlicher zu sein: Die Hölle ist nicht nur dem Himmel vorzuziehen, sie ist auch die einzige klare Vorstellung von einem Leben nach dem Tod (also von einem erstrebenswerten Ziel), die sich der Mensch bisher gemacht hat. Die Stammväter unserer Kultur, die Ägypter, die Griechen, die Römer, haben die Erde mit Göttern bevölkert und, ihrem chthonischen Weltbild entsprechend, auch ein unterirdisches Götterreich errichtet. Ketzerische Juden wurden die Erben dieser Kultur, verwandelten die Götter in Dämonen und ihr unterirdisches Reich in die Hölle. Sicher, sie taten so, als gäbe es irgendwo (dort oben unterm Dach) einen neuen Himmel, aber das war kein sehr überzeugender Trick. Jetzt, wo wir die Treppe dort hinauf entdeckt haben und überall in diesem leeren, endlosen Raum herumkurven können, ist das Spiel aus, ein für allemal. Ich bezweifle, daß der Vatikan dieses Jahrhundert überleben wird, obwohl man natürlich die Macht der Ignoranz nicht unterschätzen darf. Keine Sorge, ich meine natürlich nicht die Ignoranz des Vatikans! Der hat immer gewußt, was gespielt wird.
Aber genug vom Himmel, genug von Gott! Beide existieren nicht. Was uns von jetzt an interessiert, sind die Hölle und die Teufel. Nicht Macht, Wissen und Liebe, sondern Impotenz, Ignoranz und Haß, die drei Gesichter Satans. Meine Offenherzigkeit überrascht Sie, nicht wahr? Sie glauben, ich lasse mir in die Karten sehen, aber da täuschen Sie sich. Alle Werte verkehren sich unmerklich in ihr Gegenteil. Jeder gute Hegelianer weiß das. Krieg ist Frieden, Ignoranz ist Macht, Freiheit ist Sklaverei. Und man kann hinzufügen, daß Liebe Haß ist, wie Freud so ausführlich bewiesen hat. Was das Wissen betrifft, so kann ich nur auf den skandalösen Niedergang der Philosophie hinweisen, die, nachdem sie zur bloßen Erkenntnistheorie geworden war, heutzutage nur noch als Agnoiologie bezeichnet werden kann. Habe ich einen Terminus gebraucht, den sogar Sie nicht kennen, Louis? Agnoiologie ist die Philosophie der Ignoranz, eine
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