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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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gewesen war. Jetzt erst erkannte ich seine Handschrift.
    Armer Mordecai! Gibt es etwas Entsetzlicheres (oder Menschlicheres) als das Gefühl, nicht mehr zur Spezies Mensch zu gehören?
    Wie jammervoll, wie unbeschreiblich jammervoll ist das, was hier mit uns geschieht!

    51.
    Der einzige Grund, warum Haast mich zu sich bestellt hatte, war sein Bedürfnis, sich ein paar Minuten mit mir zu unterhalten. Wahrscheinlich war auch Eichmann in seinem Auswanderungsbüro für Juden ›einsam‹. Während ich Haasts Geplauder zuhörte, überlegte ich, ob er lange genug leben würde, um für seine Verbrechen verurteilt zu werden. Ich versuchte, ihn mir in Eichmanns Glaskäfig vorzustellen.
    Die Busk haben sie noch nicht geschnappt. Gut gemacht, Busk!

    52.
    Schipansky hat eine bezeichnende Anekdote über Skilliman erzählt, aus der Zeit vor sechs Jahren, als er im MIT einen vom Sicherheitsamt geförderten Sommerkurs bei ihm absolvierte.
    Den Teilnehmern wurde ein Überblick über den Stand der Atomtechnik gegeben, und eines Tages demonstrierte Skilliman den Vorgang, der im Fachjargon ›den Drachen am Schwanz kitzeln‹ heißt. Er schob zwei Blöcke radioaktiven Materials langsam aufeinander zu und erklärte, daß sie bei einem bestimmten Abstand die kritische Menge erreichen würden. Das Spiel mit der Gefahr machte ihm offenbar großes Vergnügen. Als er im Verlauf der Demonstration den Abstand (angeblich unabsichtlich) so verringerte, daß der Geigerzähler wild ausschlug, rannten die Zuhörer zu den Ausgängen, aber Skillimans Sicherheitsbeamte ließen niemand hinaus. Skilliman erklärte, sie alle hätten eine tödliche Dosis Strahlen abbekommen. Zwei Studenten erlitten auf der Stelle einen Nervenschock. Aber das ganze war nur ein ›Scherz‹. Die Blöcke waren überhaupt nicht radioaktiv, und der Geigerzähler war präpariert.
    Dieser exquisite Spaß war gemeinsam mit den Psychologen vom Sicherheitsamt arrangiert worden, um das Verhalten der Studenten in einer echten Paniksituation zu testen. Der Vorfall bestärkt mich nur in meiner Ansicht, daß die Psychologie die Inquisition unserer Zeit ist.
    Eine Folge dieses Scherzes war, daß Schipansky bei Skilliman zu arbeiten begann. Er hatte den Test bestanden: Keine Spur von Panik, Angst oder Unruhe - nichts als freundliches Interesse an dem ›Experiment‹. Noch mehr Unbewegtheit hätte man höchstens von einem Toten erwarten können.

    53.
    Eine Unterhaltung mit dem spinnenbeinigen Schmerbauch, bei der ich leider den kürzeren zog.
    Vorher war Schipansky zu mir gekommen, in dem sich jetzt offenbar die Neugier regt: Er fragte, warum ich so töricht gewesen sei, mich als Kriegsdienstverweigerer einsperren zu lassen, anstatt mich aus anderen Gründen (Alter, Körpergewicht, Pflichten als verheirateter Mann) vom Wehrdienst zu drücken. Ich kenne niemanden, der mir nicht bei der ersten Gelegenheit die gleiche Frage gestellt hätte. (Es gehört zu den Problemen dessen, der für seine Überzeugung leidet, daß er, durchaus ungewollt, das schlechte Gewissen der anderen weckt und in ihren Augen zum Ankläger wird.)
    Skilliman trat ein, begleitet von Felsauge und Emsig. »Hoffentlich störe ich«, sagte er vergnügt.
    »Nicht im geringsten. Machen Sie sich’s bequem.«
    Schipansky stand auf. »Entschuldigen Sie, aber ich wußte nicht, daß Sie ...«
    »Hinsetzen, Cheeta!« befahl Skilliman. »Ich bin nicht hier, um Sie fortzujagen, sondern um mit Ihnen und Ihrem neuen Freund ein bißchen zu plaudern. Ein Symposium. Unser Spielplatzaufseher Haast hat mir geraten, etwas mehr Zeit mit unserem Freund hier zu verbringen, damit er seine Beobachtungsgabe besser ausnutzen kann. Ich fürchte, daß ich Mr. Sacchetti bisher fast übersehen habe, was er bestimmt nicht verdient. Mir ist nämlich klargeworden - und das habe ich Ihnen zu verdanken, Cheeta -, daß er nicht ganz ungefährlich ist.«
    Ich zuckte verächtlich die Achseln. »Lob von Cäsar ...«
    Schipansky stand noch immer unentschlossen vor seinem Stuhl. »Ich glaube, Sie brauchen mich hier wirklich nicht ...«
    »Ob Sie’s glauben oder nicht, ich brauche Sie. Also setzen Sie sich endlich!«
    Die beiden Wärter bezogen zu beiden Seiten der Tür Stellung. Skilliman nahm Platz. Zwischen ihm und mir saß - gleichsam sein eigenes Dilemma demonstrierend - Schipansky.
    »Also, wo waren wir stehengeblieben?«

    54.
    Während ich diese Szene zu rekonstruieren versuche, beginnt alles um mich herum - die Schreibmaschine, der Wirrwarr auf dem

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