Canale Mussolini
wollten sie den Baum. Die ONC hatte ihre Verwalter gehabt, die herumgingen und kontrollierten, und wehe, es rührte jemand einen Eukalyptus an. Denen heute ist das völlig egal, sowohl in der Regional- als auch in der Kommunalverwaltung. Ja, in der Gemeinde Latina – was ja eigentlich Postfaschisten sind – wird scharf geschossen, sobald man einen Eukalyptus sichtet. Sie können ihn einfach nicht mehr sehen. Der Eukalyptus – für den Faschismus ewiges Denkmal für die Sumpftrockenlegung – ist der öffentliche Feind Nummer eins geworden. Es heißt, er sei ein »allochthoner« Baum, in dieser Gegend heimisch seien dagegen Eiche, Steineiche und Pinie. Biologischer Rassismus. Der Eukalyptus als illegaler Einwanderer. Aber dann pflanzt man auf sämtlichen Blumenbeeten, Rabatten, in privaten Gärten, vor allem aber in öffentlichen Anlagen anstelle des soeben exekutierten Eukalyptus eine Palme, eine Bougainvillea, eine Hortensie, Magnolie oder ein Bambusgebüsch an. Die aus Afrika stammen, dem tropischen Südamerika, aus Asien, Mexiko und Japan. Wie Tomaten, Bohnen und Kartoffeln ja auch, wenn man’s genau nimmt. Ganz zu schweigen von den Kiwis, für die der Agro Pontino der weltweit wichtigste Produzent geworden ist, wir produzieren mehr davon als Neuseeland, das Ursprungsland der Kiwis.
In Wirklichkeit ist das mit der fremden Herkunft bloß ein Vorwand, denn sonst müsste man ja als erstes die Gärten von Ninfa und Fogliano ausreißen – Schöpfungen einer Fürstin Caetani, die eigens aus allen Teilen der Welt die exotischsten Pflanzen kommen ließ –, die in sämtlichen Hochglanzbroschüren als die größte ökologische und touristische Attraktion der Region gepriesen werden. Die Fürstin hatte rings um den See von Fogliano eine Palmenallee pflanzen lassen, um dort reiten zu können, während ihre Büffelhirten und die Sumpfbewohner vor Hunger und Malaria im Schlamm verreckten. Der alte Benassi aber, Vater meines Onkels Benassi und Pächter bei den Caetani, erzählte, dass die Fürstin dort nicht bloß auf dem Pferd ritt und fertig, sondern dass sie es wie Lady Godiva tat: nackt. Und wenn sie dann auf einen jungen und kräftigen Büffelhirten traf, na, da weiß man ja, was geschah, sagte der alte Benassi. Aus diesem Grund wurden jedenfalls die Dreharbeiten zum Film »Scipione l’Africano« hier gemacht, am Foglianosee. Nicht wegen der nackten Fürstin, sondern wegen der Dünen, die aussahen wie die Wüste, vor allem aber wegen der Palmen. In meiner Jugend wurde hier auch »Die Rache des Sandokan« gedreht, mit Ray Danton und Franca Bettoia, und auch »Bora Bora«. Ist denn Ihrer Ansicht nach die Palme ein autochthones Gehölz? Die Palme ja und der Eukalyptus nicht? Und doch gibt es keinen Platz in Latina, wo nicht Palmen gepflanzt und Eukalyptus abgeholzt würden. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, welche Freudensprünge ich gemacht habe, als der rote Kornkäfer kam, der die Palmen befällt. Es gibt doch noch ein bisschen Gerechtigkeit auf der Welt: Das ist die Rache.
In Wahrheit ist es so, dass sie sich durch den Eukalyptus – den genius loci der Sumpftrockenlegungen – an die Armut und das Elend erinnert fühlen, womit hier alles angefangen hat. Alle, die hier leben – nicht nur wir Peruzzi –, sind wegen dem Hunger hergekommen. Wäre es uns bei uns zu Hause gutgegangen, wir wären doch dortgeblieben. Mit uns kamen die ohne Geschichte – die ohne Grund und Boden, nur mit den Fetzen am Leib –, Enterbte wie die, die schon Amerika und Australien bevölkerten. Und jeder Reiche hier – oder Politiker, Rechtsanwalt, erfolgreicher Geschäftsmann – ist letztlich nur ein Parvenu, ein herausgeputzter Floh, Sohn eines Auswanderers nur mit den Fetzen am Leib, und jedes Mal, wenn er einen Eukalyptus sieht, spürt er, wie diese Fetzen ihn jucken. Statt stolz zu sein, schämt er sich. Und rottet den Eukalyptus aus. Aber weshalb muss man sich denn schämen, frage ich. Der erste der Savoyer dürfte auch nichts anderes gewesen sein als ein Wegelagerer und Bandit, und der letzte singt in San Remo.
Jedenfalls ist Onkel Adelchi nicht nach Afrika gegangen, um Eukalyptusbäume zu sehen, sondern um das Imperium zu erobern. Jemand musste da hingehen, also ging er. Auch diese Sache hatte sich natürlich nicht der Duce ausgedacht, sondern gleich nachdem die italienische Einheit geschaffen war, fragten alle: »Wer weiß, was uns nun zusteht.« Jahrhundertelang waren wir verstreut und geteilt gewesen, da musste die
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