Canale Mussolini
Schwarzhemdenbataillons »Littoria«, gleich hinter dem Kampfbanner: »Schau doch nur die Kalips, wie groß die werden.« Es war der 15. Mai 1936, und sie marschierten in der letzten Reihe, weil sie die Größten waren.
»Sei still und marschier, Gevatter«, entgegnete Franchini allerdings, »sonst kriegen wir hier noch mal einen Verweis.«
»Aber schau doch nur die Kalips, wie groß die sind, Franchín! Schau doch nur, was für Riesendinger das werden.« Vierzig Meter hoch. Mit Stämmen, die zwei kräftige Männer nicht umfassen konnten, und doch versuchten mein Onkel und sein Gevatter Franchini es. Ganz Addis Abeba war ein einziger Eukalyptuswald, ein dunkles Laubgewoge, worin die Wohnhäuser verborgen lagen und aus dem nur oben zwischen Zweigen und Wipfeln die Blechdächer der höheren Häuser und der öffentlichen Gebäude herausragten.
Nie gesehen, solche Eukalyptusbäume, denn bei uns waren das, als wir ankamen, Pflänzchen von gerade mal einem Meter, frisch gesetzt. Auch meine Onkel hatten im Auftrag der ONC in den Wintermonaten welche gepflanzt, eine Gelegenheitsarbeit, um das Einkommen aufzubessern, an Straßen, Gräben und Kanälen. Zuerst hatte man die oben auf dem Uferdamm des Canale Mussolini gesetzt, kleine Pflänzchen, die einen auch erbarmen konnten, so dürr und zerbrechlich sahen sie aus, mit diesen wie Fischgräten in die Länge gezogenen Blättern: »Aber sind denn das Blätter? Sind das überhaupt Bäume?« Dann kommt man nach Addis Abeba und sieht diese Riesendinger. »Saperlott!«, sagte sich Onkel Adelchi.
Hier hatte sie 1896 Kaiser Menelik, der Negus von Äthiopien, anpflanzen lassen, gleich nachdem er uns bei Adua besiegt hatte, weil der Ginster, den es vorher hier gegeben hatte, vertrocknet war. »Hier gedeiht nichts mehr«, hatten ihm offenbar ein paar Jahre zuvor unsere Botaniker gesagt, als wir noch ein Herz und eine Seele waren. Dann hatten wir unsere Meinung bezüglich ein Herz und eine Seele geändert, wir wollten sein Reich ganz für uns. Da versetzte er uns Prügel, und anstelle der unseren kamen englische Botaniker. »Versuch’s doch mal mit Eukalyptus«, hatten die ihm gesagt. »Versuchen wir’s«, hatte Menelik gesagt, und der Eukalyptus gedieh hier besser als in seiner Heimat.
Bei uns im Agro Pontino hatten die Bäume 1935, als Onkel Adelchi nach Ostafrika aufbrach, eine Höhe von vier Metern erreicht, das ist nicht die Welt, aber es ist immerhin doch schon ein Baum, nicht bloß ein Strauch wie im Jahr zuvor. Und voll mit diesen duftenden Blättern. Und als er zwei Jahre später nach Hause kam, waren sie schon höher als das Haus. »Aber schau dir doch nur diese verdammten Kalips an«, sagte Onkel Adelchi zu allen voller Bewunderung.
Die Einzige, die seine Bewunderung teilte, war Armida – Onkel Pericles Frau –, und zwar wegen ihrer Bienen, die ganz versessen waren auf diesen Eukalyptus. So hatte sie sie noch nie erlebt. Ein betörend duftender Honig. Sämtliche Hormone in Aufruhr, bei den Bienen. Rosen verschmähten sie jetzt total. Wollten nur noch Eukalyptus. Und Armida hatte sich von Onkel Iseo – der ein guter Tischler war – zwei neue Bienenhäuser zimmern lassen, dazu noch eins für seine Frau: »Ich zeig’s dir«, hatte sie zu ihr gesagt, weil sie sich so gut verstanden wie Freundinnen, besser als Schwestern.
Kurzum, als sie diesen Eukalyptus hier fanden mit den länglichen Blättern und den Blüten, die aussehen wie Schrotkügelchen, waren die Bienen förmlich übergeschnappt vor Lust, sie trieben es von früh bis spät – »Widerliche Ferkel«, sagte Armida –, und nach Ablauf von drei Jahren hatten sich sämtliche Bienenstöcke zwei oder drei Mal im Jahr vermehrt. Aus einem waren nun vier hölzerne Bienenhäuser geworden, mit Spitzdach und jedes in einer anderen Farbe, und die standen am Ufer des Canale Mussolini an der Grenze unseres Podere Nr. 517. Und Sie können sich ja ruhig umhören, das ist nicht nur eine Frage der Quantität, es gibt einfach auf der ganzen Welt keinen besseren Honig als Eukalyptushonig.
Heute sieht man Eukalyptus überall in Italien, sogar ganze Wälder, endlose Alleen oder Haine als Windschutz. Aber jeder Eukalyptusbaum, selbst der, den Sie versprengt im abgelegensten Winkel Siziliens oder Sardiniens finden, ist ein dauerhaftes und handfestes Zeichen für das, was man »Faschistische Ära« genannt hat. Von wegen damnatio memoriae ! Es genügte nicht, am 25. Juli 1943 die faschistischen Wahrzeichen und Inschriften von den
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