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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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des Vertrauens würdig, das in euch gesetzt wurde; eines Tages werdet ihr Grundeigentümer sein, und auf jeden, der heute aufbricht – das solltet ihr immer bedenken –, gibt es mindestens zehn, die an eurer Stelle hätten gehen wollen; selbst durch Aufopferung eures Lebens könnt ihr das Geschenk nicht aufwiegen, das der Duce euch gemacht hat. Heil!« Dann stieg er vom Podest herunter, kontrollierte persönlich die Waggons – oder tat doch wenigstens so – und segnete jede Familie. »Peruzzi!«, sagte er zu uns, sobald er meinen Onkel Pericle sah, »immer drauf mit dem Knüppel, wenn’s nötig ist«, und dazu ein kräftiger Schlag auf die Schulter.
    Die Züge fuhren abends los, die noch warmen Becher mit Malzkaffee in der Hand, die Musikkapelle des örtlichen Fascio spielte Giovinezza , der Verbandsvorsteher grüßte vom Bahnsteig aus noch einmal mit »Heil!«. Und alle um ihn herum mit gestrecktem Arm und »Heil!«, die Schwarzhemden der Miliz, die faschistischen Frauen und die Eisenbahner vom Bahnhof.
    »Heil!«, grüßten mit gestrecktem Arm durch die Fenster, während der Konvoi sich in Bewegung setzte, unsere Frauen aus den Wagen der dritten Klasse und die Männer aus den halb offen stehenden Türen der Güter- und Viehwaggons. Muuuuuh machten dagegen ein paar Tiere, während der Zug an Fahrt gewann und die Frauen sich auf die Sitzbänke sinken ließen.
    Nur die Mädchen im heiratsfähigen Alter blieben weinend an den Fenstern stehen, schwenkten die weißen Taschentücher so weit wie möglich hinaus, um dem Liebsten zu winken. Einem Liebsten, den sie nur manchmal in der Kirche gesehen hatten, oder flüchtig, wenn er auf dem Heuwagen vorüberfuhr, oder mit dem sie in der Menge gerade mal ein paar Worte gewechselt und dem sie höchstens einmal eilig einen Kuss auf die Wange gedrückt hatten – nein, nicht eilig, denn damals brauchte man noch keine Eile zu haben –, manchmal nicht einmal ein Liebesversprechen gegeben, nur ein unausgesprochener Gedanke, da man doch ein Leben vor sich hatte, um sich alle Gedanken zu sagen. Und jetzt waren auch sie dort – die Liebsten, die es nicht geworden waren –, in einer Reihe standen sie außerhalb vom Bahnhof, um zum letzten Mal diejenigen zu grüßen, die Liebste nicht geworden waren und die sie nie mehr wiedersehen würden. Von wegen Exodus!
    Rattatam rattatam schlugen nunmehr bei jedem Schienenstoß die Wagenräder hart Metall auf Metall; die Reise begann. Heutzutage rattern Züge nicht mehr so, weil die Gleisabschnitte aus besserem Stahl und länger sind und die Stöße präzise verschweißt. Damals aber hörte man das auf der ganzen Reise, und es war ein weicher, rhythmischer und tröstlicher Klang: Rattatam rattatam rattatam rattatam , endlos, und man brauchte nur die Augen zu schließen, sich gegen die Rücklehne fallen und sich einlullen zu lassen, und wenn man nur ein bisschen müde war – und da drin war es voll von müden Menschen –, schlief man sofort ein, wie bei Mamas Wiegenlied. Nach einer halben Stunde war kein einziges Kind mehr wach, und auch etliche Erwachsene schliefen. Die Mädchen saßen zusammengekauert da und dachten an ihre Liebsten, während die Frauen alles in Ordnung brachten, sich unterhielten und Gefälligkeiten austauschten: »Ein bisschen Polenta? Ein Stückchen Käse?«, die Männer in den Güterwaggons ebenso.
    Ab und zu blieb der Zug in der tiefsten Dunkelheit stehen, an kleinen Bahnhöfen, um D-Zügen oder anderen Zügen die Vorfahrt zu lassen oder Wasser zu fassen. Dann fuhr er wieder an, aber unterdessen waren die Männer, noch bevor er ganz zum Stillstand gekommen war, abgesprungen, um ihre Frauen und Kinder in den anderen Waggons zu besuchen, im ganzen Zug Leute zu begrüßen und neue Bekanntschaften zu machen. Zwischen einem Halt und dem nächsten wachten nacheinander auch die Kinder auf, und das war dann ein Hin und Her im ganzen Zug: »Nimm mich auch mit zu den Tieren.« Und man nahm das Kind mit nach hinten. Doch bald hatte es genug: »Ich will zur Mama.« Und beim nächsten Halt brachte man es zurück zu ihr, wo es dann in den Wagen dritter Klasse mit den anderen Kindern stritt und spielte, Buben und Mädchen, die sich am Morgen auf dem Sammelplatz kennengelernt hatten. Reihum versuchten die Großmütter, sie ruhig zu halten, und jede erzählte ihre Märchen. Es gibt eine Menge Leute, die sich zum ersten Mal als Kinder auf diesem Sammelplatz begegnet sind, die ganze Nacht hindurch gestritten und sich wieder vertragen

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