Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
Vom Netzwerk:
haben und die dann hier auf benachbarten Höfen miteinander aufgewachsen sind, sich ineinander verliebt und dann geheiratet haben, um sich ihr ganzes weiteres Leben lang zu streiten und wieder zu vertragen, und manchmal auch miteinander gestorben sind.
    Bologna, der Apennin, Toskana, Florenz, Orvieto, Rom. In Rom war es noch Nacht – halb sechs oder sechs, es begann gerade erst zu dämmern –, und ein paar Frauen, die lesen konnten, hatten zum Fenster hinausgeschaut und gesagt: »Rom!« – »Ach ja, Rom …?«, hatten die anderen gesagt und waren wieder eingeschlafen über dem rrrumms rrrumms , dem Geruckel des stehenden Zuges: Ab und zu bekam der beim Wechsel der Lokomotive einen Stoß oder bewegte sich nur wenige Meter von einem Bahnhof zum anderen – Tiburtina, Termini, Casilino – oder stand herum auf Abstellgleisen, um andere Züge vorbeizulassen.
    Es war schon fast hell, als sich der Konvoi wieder in Bewegung setzte, aber alle dösten weiter bis hinter Torricola, Santa Palomba, Campoleone, denn bei jeder Reise steht am Anfang immer die Lust auf Neues, die Ungeduld, anzukommen, die Ablenkung durch das Durcheinander. Doch dann meldet sich die Angst vor dem, was einen erwartet, die Furcht vor dem, was man nicht erwartet, und die Gliederschmerzen auf den Holzbänken, das Heimweh nach dem, was man zurückgelassen hat, nach den Menschen, die man nie mehr wiedersehen wird, die Lust, weiterzuschlafen, ohne aufzuwachen – zu schlafen trotz der Sonnenstrahlen, die zum Fenster hereinfallen und einen zwingen zu blinzeln – und am liebsten wäre es einem, die Reise würde nie mehr aufhören. Aber nein: Iiiiiii … »Alles aussteigen!«
    Der Militärzug kam jeden Tag um halb acht Uhr morgens in Littoria an. Der Exodus war zu Ende. Das Gelobte Land war erreicht, und die Wächter des Pharao – mit Fez und schwarzem Hemd in Positur auf Bahnsteig eins – waren da, um uns beim Aussteigen zu beschützen und uns bei der Inbesitznahme unseres trockengelegten Roten Meeres anzuleiten. Moses hatte dessen Wasser nur vorübergehend geteilt: Genau so lang, um sein Volk durchzulassen, dann hatten sie sich wieder geschlossen. Der Duce und Rossoni dagegen haben diese Böden für immer vom Wasser befreit. Sie haben das Rote Meer beim Schopf gepackt und zu ihm gesagt: »Hau ab, wir schaffen hier einen Garten für die Ewigkeit.« Und sie haben uns hierhergebracht – »Littoriaaa Bahnhof!« – und alle um halb acht Uhr morgens ausgeladen (alle außer uns allerdings, denn der Zug mit den Peruzzi war der einzige, der Verspätung hatte).
    Und auf diesem Provinzbahnhof im Gelobten Land standen Abteilungen der Miliz mit Musikkapelle, die Giovinezza spielte, und der ganze Stab von Technikern und Verwaltern der Opera Nazionale Combattenti mit LKW s auf dem Vorplatz, um jeden von uns, Familie für Familie, samt all ihrem Hab und Gut auf den zugewiesenen Parzellen abzuladen. Aber in der ersten Reihe vor allen anderen erwarteten uns auch auf diesem Vorplatz des Bahnhofs von Littoria wieder die Frauen vom faschistischen Frauenbund, die Tische voller Töpfe mit dampfendem Milchkaffee, Scheiben gerösteter Polenta, Weißbrot und Grappa, für die, die es wollten.
    Wir waren also endlich in Littoria, wo alle Züge Punkt halb acht Uhr morgens ankamen, denn damals waren die Züge pünktlich, wie jeder weiß. Wenn sie zu spät kamen, wurde der Lokführer in die Verbannung geschickt. Also kamen die Auswanderer allesamt pünktlich in Littoria an – außer uns, wie gesagt, unser Zug war der einzige verspätete –, auch wenn das eigentlich der Verladebahnhof von Littoria war und nicht die Stadt selbst, die acht Kilometer weiter gerade entstand. Der Bahnhof war nicht der, den Sie heute sehen, er war kleiner, denn als Littoria gegründet wurde, hatte man an ein kleines landwirtschaftliches Gemeindezentrum gedacht – nichts weiter –, und auch der Bahnhof sollte nur ein Provinzbahnhof sein. Sie hatten eben auch nicht alles gleich von Anfang an klar im Kopf.
    1928, als das Konsortium von Piscinara das ganze Unternehmen in Angriff nahm, gab es nur ein Problem: das Wasser wegschaffen. Das war oberstes Gebot. Aber um das Wasser wegzuschaffen, musste man erst in das Gebiet vordringen. »Wie sollen wir Kanäle graben ohne Straßen, um Maschinen, Arbeiter und Material vor Ort zu bringen?« Aber auch um Straßen zu bauen, muss man erst Arbeiter an Ort und Stelle bringen. Man kann sie schließlich nicht jeden Tag zwanzig oder dreißig Kilometer mitten im Sumpf hin

Weitere Kostenlose Bücher