Canale Mussolini
da schon etwas Boden urbar gemacht, aber 1929 – als der Duce beschloss, den Grafen Cencelli an ihre Spitze zu setzen – war sie schon im Niedergang begriffen, überall hatte sie ihre Finger drin, ohne sich wirklich noch um etwas zu kümmern. Ein typisch italienischer Saftladen, durchsetzt mit Günstlingen.
Cencelli fährt da mit dem eisernen Besen drein, schasst Hunderte von Leuten, stellt andere ein und bringt den Laden wieder auf Vordermann: »Hier muss Land urbar gemacht werden, und das muss man den Bauern geben.« Das war die Mission, mit der der Duce und Rossoni ihn betraut hatten, als sie ihn als Prokonsul ins Agro Pontino schickten, mit Generalvollmacht und freier Hand in allem. Kaum angekommen, fängt der an herumzubrüllen, bisher hätten hier alle nur auf der faulen Haut gelegen, so mache man keine Trockenlegung, bei dem Tempo dauere das ja Generationen.
Die vom Konsortium kriegten die Krätze, auch wenn die Entwässerung rein formal nach wie vor ihre Angelegenheit blieb, während die ONC nur die landwirtschaftliche und bevölkerungstechnische Seite der Urbarmachung organisieren, verwalten und beaufsichtigen sollte. Mittlerweile aber durch die Enteignungen selbst der größte Grundbesitzer geworden, war die ONC nun auch in den Konsortien Hauptanteilseigner und Cencelli der unumschränkte Chef. In Wirklichkeit hat die ONC die siebzigtausend parzellierten Hektar nicht alle durch Enteignung an sich gebracht, hat sie den vorherigen Besitzern nicht einfach brutal weggenommen. Einen Teil ja, aber einen andern Teil hat sie – um bürokratische Komplikationen und Gerichtsverfahren zu vermeiden – den Besitzern direkt abgekauft, wenn auch zu einem Spottpreis: »Nimm, was ich dir biete, sonst komme ich mit dem Enteignungsbescheid.« Den Privateigentümern wurde also nicht alles weggenommen, dem Prinzen Caetani zum Beispiel ließ man die Latifundien jenseits der Via Appia, zwischen der Via Appia und den Bergen, allerdings unter der Bedingung, dass er auch Boden trockenlegte, parzellierte, natürlich Ställe und Wohnhäuser baute und Pächter dort ansiedelte, andernfalls nahm Cencelli ihm alles weg. Und Fürst Caetani – der siebenhundert Jahre lang für den Sumpf nie einen Finger krumm gemacht hatte, nie einen Eimer Wasser geschöpft oder auch nur einen Frosch verjagt hatte – legte trocken, parzellierte und siedelte schleunigst auch auf seinem Grund und Boden ganze Pächterfamilien aus Umbrien und den Marken an.
Cencelli steigt den Leuten also von Anfang an empfindlich auf die Zehen – gerade deswegen hatten Rossoni und der Duce ihn ausgesucht, weil er ein Bulldozer war –, und im Handumdrehen hat er mit allen Streit. Zwar stimmt es, dass sie alle Faschisten waren und alle auf den Befehl des Duce hörten, doch wie Sie wissen, gab es solchen und solchen Faschismus, vor allem aber waren wir in Italien, und da sind ja alle Nachfahren von Romulus und Remus. Und wenn schon die zwei gestritten haben, die doch Zwillingsbrüder waren, dann können Sie sich denken, wie das bei denen aussah, die nicht mal Vettern waren. Bei öffentlichen Veranstaltungen und vor dem Volk standen sie alle brav beisammen auf der Tribüne, Grüße und Lächeln für Cencelli, und alle beteuerten: »Faschismus hier, faschistische Sumpftrockenlegung da! Alle an einem Strang für das Vaterland und den Duce.« Aber kaum waren sie von der Tribüne herunter, war das ein Hauen und Stechen. Genauso wie heute übrigens. Sowohl auf der Rechten wie auf der Linken.
Im Grunde hatten bis gestern die vom Konsortium unumschränkt geherrscht. Sie kutschierten in der Gegend herum, als ob sie die Herren der Sümpfe wären. Jeder Landvermesser vom Konsortium hielt sich für den Allerhöchsten persönlich, jeder Assistent für einen Gott, und sogar der Pferdeknecht hielt sich noch für den Erzengel Michael. Und da kommt plötzlich Cencelli daher und lässt alle strammstehen: »Wehe, es rührt sich wer oder sagt einen Mucks.« Es ist klar, dass ihnen das gegen den Strich ging und dass sie scharf konterten. Aber das war nicht bloß ein Kampf um persönliche Macht und Ehrgeiz: »Ach was, bist du etwa besser als ich?« Dahinter standen verschiedene Auffassungen sowohl von der Urbarmachung als auch vom Faschismus. Rechts und links, sagen wir mal so.
Die Trockenlegung der Sümpfe ist keine Erfindung Mussolinis, sondern ein Problem, das sich dem Königreich Italien gleich nach dem Risorgimento und nach der nationalen Einigung stellte. Sämtliche Ebenen Mittel-
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