Canale Mussolini
tränkte und so das Gedeihen der Sumpfvegetation förderte. Auf der ganzen Länge des Canale Mussolini können Sie hin und wieder auch Abschnitte sehen, die vollständig mit Stein ausgekleidet sind, das ganze Profil, nicht nur die Rinne, und dann eine ein, zwei Meter hohe Stufe, darunter ein breites Becken und wieder ein Stück gepflasterter Kanal. Das sind die Tosbecken – wir Kinder nannten sie Kaskaden, denn das Wasser fällt in das daruntergelegene Becken hinab, und wir badeten und schwammen dort –, und sie sind dazu da, die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers zu bremsen, denn wenn es zu reißend wäre, würde es die Dammwände abtragen.
Aber trotz aller Berechnungen und Messungen durch die besten Wasserbauingenieure des Regimes mussten bestimmte Arbeiten zwei und auch drei Mal ausgeführt werden. Einmal reichte nicht. Das Hochwasser von 1934 zum Beispiel – vom 4. November 1935 – riss die ganze Marchi-Brücke nördlich der Via Appia mit, über die die Eisenbahnlinie Rom–Neapel verläuft, in weniger als vier Kilometern Entfernung von unserem Hof. Meine Großmutter sagte, die ganze Nacht hindurch hätte man da vom Deich her nicht nur dieses dampftstrahlartige Dröhnen wwwrrooff, wwwrrooff, wwwrrooff gehört, von dem ich vorhin sprach, sondern auch ein kling … klang … klong von umstürzenden Masten, Bäumen, Karren, Metall- und Maschinenteilen, die der Kanal mitriss, als er nach und nach anschwoll und von oben her abräumte. Wir waren die ganze Nacht wach, sagte Großmutter, alle im oberen Stock, die Leitern parat, um aufs Dach zu klettern, während meine Onkel am Deich reihum Wache hielten, um den Wasserstand zu beobachten und notfalls Alarm zu geben. Zum Glück trat der Kanal in der frühen Morgendämmerung auf der anderen Seite über das Ufer, und das Niveau sank, und die Straße rechts am Kanal entlang, die Parallela Destra, war überschwemmt. Wir kamen glimpflich davon, dieses Mal. Das galt aber nicht für die Marchi-Brücke. Plötzlich war alles Licht verfinstert von Baumstämmen, Holzscheiten und Gestrüpp, die der Teppia mit einem Schwall Hochwasser in den Kanal geschwemmt hatte. Das Zeug verkantete sich und bildete einen Deich. Das Wasser stieg und der Druck erhöhte sich, bis es den Bahndamm erreichte, über die Gleise schwappte und sie ausriss – kling … klang … klong , hätten meine Onkel bis zu uns her gehört, sagten sie –, es riss sie aus und unterspülte auch die Böschung, Stein um Stein. Übrig blieben nur die Masten, die an den Leitungsdrähten hingen und von der Strömung hierhin und dorthin geschleudert wurden. Dann durchbrach der Kanal diesen Deich, durchbrach ihn mit voller Wucht – wwrommm –, und die ganze Brücke schwamm davon. Zum Glück verkehrten in diesem Augenblick keine Züge, bald darauf aber kam ein Güterzug, versuchte zu bremsen, was ihm auch beinah gelang. Noch heute kann man Fotografien von ein, zwei Tagen später sehen, mit dieser Dampflok – nur die Lok allerdings, den übrigen Zug hatte man bergen können –, über die Böschung hinuntergekippt, die Räder in der Luft, neben Resten von Brückenpfeilern.
Wir mussten die Marchi-Brücke wieder aufbauen, stabiler und solider als vorher. Und wir veränderten auch diesen ganzen Abschnitt des Canale Mussolini, indem wir den Querschnitt vergrößerten. »Du kriegst uns nicht mehr dran!«
Damals allerdings schwoll das Hochwasser noch weiter an, und zwei oder drei Tage später schwemmte es die Tosbecken weg – Stein für Stein –, von der Babbaccio-Brücke bis nach Gnif-Gnaf, dem heutigen Borgo Santa Maria, genau dort, wo Blanc das Mammutskelett gefunden hatte. Dort richtete es verheerenden Schaden an, riss alles aus und schwemmte es weg, und auch von der dortigen Brücke blieb nichts übrig, und vielleicht war es wirklich das Mammut, wie meine Onkel sagten, oder sein erzürnter Geist: »Man soll die Toten nicht in ihrer Ruhe stören, auch wenn es prähistorische Tiere sind.« Und auch dort musste alles neu gemacht werden, größer, stabiler und solider, in der Hoffnung, dass das Mammut sich schließlich besänftigen würde. Ein solches Desaster wie 1934 hat der Canale Mussolini allerdings nicht mehr angerichtet, gelegentlich tritt er freilich noch über die Ufer und überschwemmt ein paar Felder.
Der Kanal war jedenfalls erst zur Hälfte ausgehoben, als wir dort ankamen. Der eine Teil der Pontinischen Sümpfe allerdings – die Piscinara – war schon fix und fertig trockengelegt, von den Siedlerhöfen
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