Canale Mussolini
nie, du treibst sie, und sie treibt dich. Ein Traktor ist nichts dagegen. Man möchte ihr ein Denkmal setzen. Und die ONC sagte zu allen: »Geht hinein, sucht euch sechs Tiere aus und nehmt sie mit nach Haus.« Und meine Onkel gingen in den Pferch hinein, zuerst zögernd, alle zusammen, sie machten sich Platz und hielten sich an den Händen, um sich jeden Augenblick gegenseitig zu versichern, dass sie alle da waren, auf der Hut, und dass die Sache in jedem Fall nur gut ausgehen konnte, weil sie – auch mitten in dieser Herde von verschreckten Maremma- Kühen, von denen die Mehrzahl noch nie von Menschenhand gezähmt oder auch nur gemolken worden war – die Lage jedenfalls fest im Griff hatten.
Meine Onkel gingen los, berührten sie eine nach der andern, flüsterten ihnen ins Ohr, besahen sich das Gebiss, tasteten das Euter ab, hoben die Füße hoch, um die Hufe zu prüfen, und wenn ihnen eine zusagte, riefen sie Onkel Turati zu »Los!«, und der führte sie hinaus und band sie mit einem Strick außen an der Einzäunung fest. Dann riefen sie ihn zurück: »Turati, du Hund, die da!«, und er wieder los. Zum Schluss stellten wir uns mit unseren sechs neuen Tieren in einer Reihe auf und zogen froh und zufrieden nach Hause, und als wir dort ankamen, den Empfang kann ich Ihnen ja gar nicht beschreiben: Die ganze Familie, auch Frauen und Kinder, war im Stall, und es gab ein großes Fest, weil wir nun wieder einen eigenen Stall hatten mit Tieren drin. Einen funkelnagelneuen Stall vor allem, und beim ersten Fladen, den Venezia – unsere erste Maremma-Kuh –, kaum war sie bei der Tür hereingekommen, mitten im Gang fallen ließ, riefen alle: »Glückwunsch! Glückwunsch!« Wir konnten es kaum glauben. »Gut, dass wir hierhergekommen sind«, sagte Großmutter: »Zum Teufel die Zorzi Vila und ganz Oberitalien.«
Aber an diesem Tag in Doganella erging es nicht allen so gut wie uns. Ganz im Gegenteil, die Verwalter der ONC rauften sich die Haare, weil sich nämlich herausstellte – und damit hatten sie bestimmt nicht gerechnet –, dass ein Haufen Leute, die wie wir als Siedler ins Agro Pontino gekommen waren, ihr Lebtag lang noch kein Vieh angerührt hatten. Sie liefen in alle Richtungen davon, als man sie in das Gehege brachte. Einige wollten überhaupt nicht hineingehen. Andere klammerten sich an den Zaun, und sobald eine Maremma-Kuh näher kam – mit diesen Hörnern, die, wie ich Ihnen sagte, riesig waren –, schrien sie vor Angst.
»Auf geht’s«, riefen hingegen die Verwalter. »Nehmt euch euer Vieh.«
Die Mutigsten wagten es. Aber da sie nicht wussten, wo und wie sie die Tiere packen sollten – vorne waren, wie gesagt, diese Hörner –, versuchten sie sie hinten beim Schwanz zu fassen zu kriegen und dann zu ziehen. Das waren Szenen, ich kann Ihnen sagen, und wegen der geringsten Bewegung der Kuh landeten diese armen Kerle regelmäßig am Boden, und einige wurden auch verletzt, niedergetrampelt.
»Die haben ihr Lebtag lang noch kein Vieh gesehen«, dachten die Verwalter der ONC . »Was für Pächter sollen das denn sein? Wer hat uns die geschickt?«
Der Fascio hatte sie geschickt, wer denn sonst? Vielleicht ein Komplott der jüdisch-freimaurerischen plutokratischen Weltverschwörung oder »Sabotage«, wie Cencelli sagte? Sie – die von der ONC – hatten Pächter verlangt, keine Tagelöhner, denn die können nur eines: entweder hacken oder mähen oder ernten oder umgraben oder die Tiere hüten, immer nur das eine. Der Tagelöhner arbeitet tageweise – wenn er gerufen wird – in den großen Betrieben und kehrt abends in sein Dorf zurück oder in seinen casone aus Schilf und Stroh. Der Pächter dagegen ist Tag und Nacht auf dem Grund, der ihm anvertraut wurde, und er kann alles, von A bis Z, er ist als Bauer komplett. Er weiß von jeder Pflanze, wann sie ausgesät wird und wie der Boden für sie vorbereitet werden muss. Er kann jede Bodenkultur von der Aussaat bis zur Ernte betreuen – vereinzeln, beschneiden, düngen –, und er kennt das alles aus dem Effeff, weil er es von Kindesbeinen an im Ablauf der Mondphasen und der Jahreszeiten praktiziert hat: vom Weizen bis zur Luzerne, von der Zwiebel bis zu Obstbäumen. Er kann pflanzen, verpflanzen und pfropfen, vor allem aber weiß er mit Vieh umzugehen, ein Blick auf den Bauch, und er weiß, ob er besser im Stall schläft, weil die Kuh niederkommen wird, und ob die Geburt womöglich schwierig zu werden droht. Das hingegen waren Leute, die noch nie zwei
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