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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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wer sollte sich erlauben – war ein neues Paar Schuhe nun schon einmal gemacht –, sie dann abzutragen, so dass sie neu besohlt werden mussten? Die Leute bei uns gingen barfuß, wie auch im ganzen Agro Pontino alle barfuß liefen, bis 1960 der Wohlstand kam. Und dann ist noch nicht einmal gesagt, dass man diese neuen Schuhe am Tag der Hochzeit und am Tag seiner Beerdigung auch wirklich anzog – so dass der Sohn, da man die eigenen mitnahm, bei seiner Hochzeit gezwungen gewesen wäre, sich neue machen zu lassen –, bei uns im Ferraresischen bestand nämlich der Brauch und das geheiligte Ritual, dass der Tote barfuß aus dem Leben scheidet. Bei keiner Totenwache oder Aufbahrung in Ferrara oder Codigoro – aber auch in Pontinia oder Borgo Hermada – werden Sie einen Toten mit Schuhen im Sarg sehen. Alle barfuß, Männer wie Frauen. Saubere, nagelneue Strümpfe. Sogar eine Krawatte umgebunden. Frisch rasiert und gekämmt und in den Taschen – damit die Leute es nicht sehen – etwas Kleingeld, Zigaretten, Feuerzeug oder Streichhölzer, wenn er Raucher war, und bevor der Sarg verschlossen wird, legen Frauen und Kinder auch noch ein Fläschchen Grappa hinein und etwas zu essen. So ist das Brauch bei uns. Sicher, wir legen ihm auch den Rosenkranz in die Hände, aber zusammen mit diesen anderen Sachen, denn das machen wir seit Jahrtausenden so, und es gibt keinen Grund, nach so langer Zeit etwas daran zu ändern.
    Wie bitte, was sagen Sie? Warum wir ihm Geld mitgeben?
    Das ist so Brauch bei uns, das sagte ich Ihnen ja schon, das ist der Obolus für Charon. Was wissen wir denn schon Genaues darüber, wie die Dinge wirklich liegen, wenn wir von hinnen gehen? Warum soll ich meinen Toten im Jenseits Gefahren aussetzen, denken sich die Leute. Ich löse ihm eine Fahrkarte, wie man das immer gemacht hat, erster Klasse, und wenn man ein paar Stationen zu viel gezahlt hat, sei’s drum, amen. Ich kann ihn doch nicht wegschicken ohne die Gaben, die er braucht, oder mit einer Station zu wenig bezahlt. Was soll er denn dem Schaffner sagen? Aus dem gleichen Grund wirft noch heute beim Hausbau, bevor der Grundstein gelegt wird, der Maurer ein paar Münzen in die Grube. Sie sollen die Götter versöhnen, sie um die Erlaubnis bitten, ohne allzu große Gefahren in Mutter Erde einzudringen. Früher wurden Menschen in die Fundamente eingemauert – Menschenopfer –, dann nur noch Geld. Der Obolus für Charon tritt an die Stelle des Menschenopfers. Und noch heute, jedes Mal wenn Sie an einem Springbrunnen oder Brunnen vorbeikommen – dem Trevi-Brunnen in Rom beispielsweise oder dem Palla-Brunnen in Latina –, werfen Sie eine Münze hinein, weil Sie unbewusst bei sich denken: »So ist es, als wäre ich schon tot, und ich kann nicht mehr sterben, wenigstens nicht, bevor ich wieder hier vorbeikomme.«
    Jedenfalls bei uns zu Hause gehen die Toten – wenn auch mit ein bisschen Geld – barfuß hinüber. Barfuß bist du gekommen, barfuß gehst du auch wieder. Und dann überlegen Sie mal, was für ein Geschäft bei uns in der Gegend ein tüchtiger Schuster machen konnte, ein Schuhkünstler wie Onkel Dolfin. Und auch als Barbier, was wollen Sie, was sollte er da schon verdienen, der arme Onkel Dolfin? Bei dem Hunger überall, gingen die Leute da vielleicht zum Friseur, Ihrer Meinung nach, um sich rasieren zu lassen? Eher aßen sie ihren Bart doch auf. Ihn rief man nur, wenn eben ein Toter zu rasieren war. Sonst behalf man sich selbst. Und meine Tante hatte ihn geheiratet – sie ja, sie wusste, wie man den Boden bestellt, sie war das zweite Kind, oder genauer, die erste der Töchter, die Großmutter zur Welt brachte, ein Jahr nach Onkel Temistocle und ein Jahr vor Onkel Pericle –, sie hatte ihn aus Liebe geheiratet, weil er eine schöne Singstimme hatte und tausend Geschichten erzählen konnte, auch die verrücktesten, und sie ihr als real verkaufte.
    Aber auch der Hunger ist real, und zwischen einer Geschichte und der nächsten hatten sie schon eine Menge Kinder in die Welt gesetzt, und bevor wir aufbrachen, sagte sie einmal zu den Brüdern: »Wer weiß, was hier aus unseren Kindern wird? Auch Schuster und Hungerleider?«
    Da ging Onkel Pericle und sprach beim Fascio vor, wo man ihm allerdings entgegenhielt, dass Dolfin Sozialist war. »Nach Ponza, Peruzzi, nach Ponza müssten wir ihn schicken.« Doch dann fragten sie ihn, ob er als Pachtbauer arbeiten könne.
    »Aber sicher doch. Ich bürge für ihn.«
    »Und das Vieh? Kann er mit Vieh

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