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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Ochsen unter ein Joch gespannt hatten und die bei der bloßen Vorstellung, sich unter den Bauch eines Maultiers beugen zu müssen, um die Gurte eines Lastkorbs festzuschnallen, lieber Vater und Mutter umgebracht hätten.
    Wie bitte, was sagen Sie? Warum sie dann bis hierher gekommen sind? Ja, wegen dem Hunger, ich bitte Sie, aus welchem Grund denn sonst? Wegen dem Hunger ist einer zu allem bereit, und die fälschten halt ihre Papiere, um als Pächter hierherzukommen. Früher mal, da ging man nach Amerika, auf der Suche nach dem Glück. Dann wurden die Tore dicht gemacht, und in den dreißiger Jahren war das Amerika Italiens das Agro Pontino – »Amerika liegt in der Piscinara« –, und auch Tagelöhner, Friseure, Scherenschleifer, Schuster und sogar Gemeindeschreiber fälschten ihre Papiere, um sich hierherschicken zu lassen und ein Stück Land zu ergattern. Sie ließen sich vom Bürgermeister oder vom Fascio Empfehlungen geben und sich auf die Listen des Kommissariats für Binnenmigration setzen.
    Sie müssen nur einmal die Kirchenregister oder die Einträge im Standesamt von Latina-Littoria durchgehen, dann sehen sie schon, wie viel da geschummelt wurde. Die Vorschrift war nicht nur, dass man Pächter oder Bauer sein, also sich in der Landwirtschaft perfekt auskennen musste, sondern dass mindestens einer in der Familie im Krieg 1915–1918 Frontkämpfer gewesen sein musste, was für ein Veteranenhilfswerk war denn das sonst? Und die Familie musste groß sein, weil man viele Hände braucht, um den Boden zu bestellen.
    Jede Familie musste aus mindestens zehn Personen bestehen, man musste einen Haufen Kinder haben, und hier angekommen, musste man noch mehr zeugen können. Solche, die womöglich tüchtige Pachtbauern waren und im Krieg jede Menge Österreicher oder Deutsche erledigt hatten, aber wenige Kinder hatten – eine kleine Familie, wie heutzutage –, mussten also auch ihre Unterlagen und Papiere fälschen, und Sie haben ja keine Vorstellung, wie viel getürkte Familienstände es da gibt, unter Hinzufügung von etlichen Verwandten, die sich nie aus Oberitalien weggerührt hatten. Und vor allem, wie viele Scheinehen von dreizehn- oder vierzehnjährigen Mädchen, mit dem Segen des Pfarrers oder des Bischofs verheiratet an sämtliche Witwer oder alten Junggesellen, derer man habhaft werden konnte, oder an den erstbesten Dahergelaufenen – um auf dem Papier mehr Leute zu sein –, ohne Vollzug der Ehe natürlich, im Tausch für ein bisschen Geld. Genau wie die Scheinehen heute, um Angehörigen von Nicht- EU -Staaten die italienische Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Und hier angekommen, fanden die nach und nach einen echten Freund und bekamen Kinder von ihm, aber da es keine Scheidung gab, waren die alle ihr Leben lang unehelich, und bei den Kindern weiß man nicht, ob sie den Namen ihres leiblichen Vaters tragen oder dessen, der noch dort oben ist, irgendwo begraben, ohne sie je gesehen und gekannt zu haben. Aber anstandshalber – denn sonst machen wir uns ja nur was vor –, muss ich Ihnen die ganze Wahrheit erzählen, bis zum Ende, jedenfalls so weit ich sie kenne und so weit meine Onkel sie mir erzählt haben. Also muss ich Ihnen sagen, dass auch wir ein paar kleine Schummeleien begangen haben.
    Onkel Dolfin zum Beispiel – dem Onkel Pericle einen Hof in Borgo Hermada verschaffte, rechts vom Fluss Sisto, vor der Schleuse – war eingefleischter Sozialist, und das allein hätte schon genügt, obwohl er, hier angekommen, auch das schwarze Hemd anzog. Aber er war Frontkämpfer gewesen, daran war nicht zu rütteln, viele Male war er gemeinsam mit Onkel Temistocle bei den Arditi aus dem Schützengraben heraus zum Angriff vorgeprescht, bewaffnet nur mit Dolch und Handgranate. Aber er hatte noch nie im Leben einen Spaten in der Hand gehabt oder eine Mistgabel. Er war auch nie Tagelöhner gewesen. Er hatte sich kein einziges Mal auf die Erde hinuntergebückt, und bis ins Alter sagte er dann immer, dass ihm der Rücken weh tat, und er verfluchte den Tag, an dem er hergekommen war. »Sie ist so tief unten, die Erde«, ob man sie nicht ein bisschen höher legen konnte?
    Onkel Dolfin war Barbier und Schuhmacher. Er machte gewisse Schuhe, die waren einfach ein Gedicht. Er befühlte einem die Füße, besah sie sich, befühlte sie wieder, nahm Maß und machte einem dann einen Handschuh für den Fuß, ganz genau passend. Aber wie viele Paar Schuhe sollten wir Hungerleider in unserem Dorf uns schon machen lassen? Und

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