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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Knien herunterrutschte und die Freunde dachten, er mache Spaß. Dabei machte er überhaupt keinen Spaß. Man brachte ihn hinauf ins Haus, ließ Priester und Doktor kommen, doch man konnte nur noch den Totengräber rufen; ihn auskleiden, waschen und frisch anziehen, aufs Bett legen, zwei Kerzen anzünden und anfangen zu beten.
    Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wie das bei uns in der Gegend Brauch ist – oder zumindest war –, aber wenn es in einem Haus einen Toten gibt, sind es die Nachbarn, die sich um alles kümmern. Sie machen für alle zu essen, kochen Kaffee oder schenken denen ein Glas Wein ein, die kondolieren kommen und am Schmerz teilnehmen. Und die Totenwache dauert bis spät. Einmal hat sie eine ganze Nacht hindurch gedauert, mit den alten Frauen, die abwechselnd Litaneien und Rosenkränze beteten.
    Mein Onkel ließ sich von dieser Szene nicht abhalten. Er zog seine Sache durch. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, das Programm zu ändern, etwa in der Art: »Nun gut, da ist ein Toter im Haus, ich stecke zurück.« Nichts da: »Deswegen bin ich hier, und das zieh ich durch, Toter hin oder her, ich habe hier eine Pflicht zu erfüllen.«
    Das Grüppchen auf der Treppe zeigte sich überhaupt nicht verwundert – »Er wird auch zum Kondolieren gekommen sein« –, und man machte ihm Platz. Eilig fragte er: »Wie ist das passiert?«, und man erzählte es ihm. Halbwegs erleichtert atmete er auf – »Gott sei Dank ist es kein Toter in ihrer Familie« –, das hätte seinen Weg noch beschwerlicher gemacht, und er stieg hinauf. Die Wohnungstür stand offen. Er trat ein. Ein Kopfnicken zum Gruß für alle Anwesenden, und er ging ins Totenzimmer. Dort stellte er sich seitlich ans Kopfende, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Er bekreuzigte sich. Alle fanden seine Anwesenheit völlig normal. Dann trat, mit einem Tablett in der Hand, sie bei der Tür herein und sah ihn hasserfüllt an, wie um zu sagen: »Was willst denn du hier? Raus hier!«
    Sie hatte ihn vorher nicht bemerkt, weil sie in der Küche gewesen war und Kaffee gekocht hatte, als Onkel Pericle kam, aber sobald sie ihn im Zimmer bei dem Toten stehen sah, begriff sie sofort: »Was kümmert den der Tote? Der ist meinetwegen hier, verfluchter Kerl.«
    Er völlig ungerührt. Ruhig wartete er ab, dass sie mit dem Tablett die Runde machte, und als sie bei ihm war und ihm auch eine Tasse anbot – »Bitte sehr, greifen Sie zu«, auch wenn sie ihm lieber Gift gereicht hätte –, sagte er leise, fast nur geflüstert: »Ich muss mit dir reden.«
    Sie drehte sich um und kehrte zurück in die Küche.
    Er wartete ein wenig, dann ging er ihr nach.
    In der Küche war sonst niemand.
    Den ganzen Nachmittag hatte sie in der Familie des Toten ausgeholfen. Zu Mittag – als er noch am Leben war – hatte die Mutter sie rübergeschickt, um ihnen etwas Stockfisch zu bringen. Er hatte sie auch noch gehänselt – »Was für ein hübsches Ding du geworden bist« –, er kannte sie von Kindesbeinen an, sie hatte auf seinem Schoß gespielt. Am Nachmittag hatte sie ihm dann auf dem Bett lang die Hände schrubben müssen – mit Bürste und Wasserbecken –, um die schwarzen Ränder unter den Fingernägeln von jahrelanger Arbeit auf den Feldern wegzubekommen, und so richtig war ihr das auch nicht gelungen. Und sie hatte ihre kleinen Geschwister mit den Kindern des Toten spielen lassen und hatte sie bei sich schlafen gelegt, im Bett ihrer Eltern. Jetzt wartete sie nur, dass die Leute allmählich weniger wurden, um selbst auch schlafen gehen zu können. »Mich wenigstens ein bisschen ausstrecken.« Hingegen kam – es war schon nach Mitternacht, bei all dem, was am nächsten Tag zu tun war – dieser Hundsfott daher und stieg ihr nach. »Aber ich bring ihn um«, und sie hatte schon das große Brotmesser in die Hand genommen.
    Onkel Pericle stand hinter dem Tisch – sie davor, neben dem Vorhang, der den Eingang zur Speisekammer verhängte – und sagte noch einmal zu ihr, leise, damit man es im anderen Raum nicht hörte: »Ich muss mit dir reden.«
    »Hau ab! Ich hab dir nichts zu sagen«, zischte sie ebenfalls ganz leise.
    »Aber ich hab dir was zu sagen«, insistierte Onkel Pericle fast flehend, wobei er um den Tisch herumging und sich ihr näherte.
    »Hau ab!«, sagte sie lauter und bedrohte ihn mit dem Messer.
    Mit einer Hand verschloss er ihr den Mund, mit der anderen packte er sie fest am Arm und zog sie an sich: »Ich habe einen Menschen umgebracht, einen Priester! Ich

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