Candy
Frau sie durch den Garten führte, spürte ich die vertraute Erregung in mir – das Schlagen meines Herzens, das Rasen meines Pulses, den Adrenalinschub, der meine Haut prickeln ließ …
Nichts hatte sich verändert.
Ich beobachtete, wie sie näher kamen. Ich hörte ihre Schritte auf dem ausgedörrten Rasen. Candy ging mit gesenktem Kopf, den Blick fest auf den Boden geheftet. Die Frau blieb dicht bei ihr und führte sie, die eine Hand aufmerksam auf Candys Rücken.
Die Luft war schwer …
Sie waren ein paar Schritte vom Tisch entfernt …
Ich konnte nicht atmen …
Ich schaute zu Candy auf. Sie schaute nicht zurück.
»Kevin Williams?«, sagte die Frau.
Ich antwortete nicht.
»Bist du Kevin Williams?«, fragte die Frau wieder.
»Äh … ja«, murmelte ich und sah noch immer Candy an.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte die Frau mich.
»Entschuldigung«, sagte ich und wandte mich ihr zu. »Ja … ja, Kevin Williams … mir geht’s gut.«
Sie streckte ihre Hand aus. »Louise Hammett«, sagte sie. »Ich bin die Heimleiterin.« Ich stand auf und schüttelte ihr die Hand. Sie sagte: »Ich nehme an, Dr. Davies hat schon mit dir gesprochen?«
»Ja, ich hab ihn beim Hereinkommen getroffen.«
|405| »Gut.« Sie warf einen Blick auf Candy, erhielt keine Reaktion, danach sah sie mich wieder an. »Dann lass ich euch jetzt mal allein. Ich bin gleich da drüben, wenn ihr irgendwas braucht.« Sie zeigte auf einen Tisch am anderen Ende des Gartens. »Okay?«
»Ja«, sagte ich, »danke.«
Sie berührte Candys Schulter und ging danach rasch durch den Garten. Ich beobachtete, wie sie sich an den Tisch setzte. Ich beobachtete, wie sie ihre Aktentasche öffnete, ein paar Unterlagen herauszog, die Beine übereinander schlug und anfing zu lesen. Ich beobachtete sie weiter … ohne zu wissen, warum …
Ich
wollte
sie nicht ansehen.
Ich wollte Candy ansehen …
Aber es schien mir nicht zu gelingen. Ich konnte meinen Kopf nicht bewegen. Ich wollte ja schauen, doch ich hatte zu viel Angst, was ich vielleicht sehen könnte.
»Kevin Williams?«, hörte ich sie sagen.
Als ich mich ihr zuwandte, hatte sie den Blick vom Boden gelöst und schaute mir ruhig in die Augen.
»Das war Mikes Idee«, sagte ich. »Sie hätten mich sonst nicht zu dir gelassen …«
»Ich weiß.«
»Ich wusste nicht, wo du warst.«
»Ich weiß.«
Wir sahen uns an. Mir fehlten die Worte.
»Willst du dich setzen?«, fragte Candy.
»Ja … okay.«
Wir setzten uns einander gegenüber. Candy hatte eine Schachtel Zigaretten in der Hand. Sie zog eine heraus, steckte sie in den Mund, legte die Schachtel auf den Tisch und klickte mit dem Feuerzeug. |406| Ich sah zu, wie sich der Zigarettenrauch aus ihrem Mund wand und über den Garten davontrieb.
»Und«, sagte sie, »wie geht’s dir?«
»Ganz gut, glaub ich … und wie steht’s bei dir?«
»Mir ging’s schon schlimmer.« Sie schaute einen Moment hinab auf die Spitze ihrer Zigarette, dann kehrte ihr Blick zu mir zurück. »Ist lange her …«
»Ja …«
»Vier Monate.«
»Ich weiß.«
Sie senkte wieder den Blick. Ich beobachtete, wie sie nervös mit der Zigarette herumspielte – sie zwischen den Fingern drehte, sie klopfte, Asche auf den Boden schnippte –, und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es war wirklich merkwürdig. Ich hatte so lange über diesen Augenblick nachgedacht, mir all die Dinge überlegt, die ich sagen wollte, doch jetzt, als ich da war … schien alles nicht wichtig. Es waren alles bloß Worte. Geräusch. Nichts. Ich wünschte mir, ich könnte in Candys Kopf sein – einfach nur
da
sein … fühlen, was sie fühlte … wissen, was sie dachte … mit ihr zusammen sein ohne ein Wort …
»Wie geht’s Gina?«, fragte sie leise.
»Ganz gut … manchmal kriegt sie noch ein bisschen das Zittern, aber ich denke, sie kommt wieder in Ordnung. Im nächsten Jahr heiratet sie Mike.«
»Echt? Das ist super.«
»Mein Dad findet das gar nicht.«
»Wieso nicht?«
»Keine Ahnung … er ist einfach ein bisschen … ich weiß nicht. Er verhält sich manchmal ein bisschen komisch.«
|407| »Ist er hier? Hat er dich begleitet?«
»Nein, er hatte zu tun … ich bin mit dem Zug gekommen. Was ist mit
deinen
Eltern? Hast du sie gesehen?«
»Ja, sie besuchen mich jede zweite Woche.«
»Wie läuft’s?«
»Weiß nicht …« Sie drückte ihre Zigarette aus und zündete sich sofort eine neue an.
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