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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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die auf Iggy zulief   …
    Und die Pistole in Iggys Hand.
    Und Gina.
    Und der Rest von Iggys Truppe.
    Sie waren jetzt alle aus dem Wagen ausgestiegen. Die zwei vom Rücksitz hatten sich in die eine Richtung wegbewegt und Gina mitgenommen. Einer von ihnen stützte sie, während der andere – der, den ich schon vorher gesehen hatte – ihr einen Revolver an den Kopf hielt. Ich konnte nicht sagen, ob der Fahrer bewaffnet war, denn er stand hinter der geöffneten Wagentür. Iggy befand sich ungefähr fünf Schritte vor ihm   … ungefähr zehn Meter vom Haus entfernt. Er hatte den Arm emporgehoben, die Pistole war auf Candy gerichtet.
    Es schien sie nicht zu irritieren. Sie lief einfach weiter auf ihn zu, rief ihm entgegen, rief seinen Namen   …
    »Iggy«, schluchzte sie laut. »Gut, dass du da bist. Hilf mir, Iggy   … bitte   … du musst mir
helfen
…«
    Sie weinte.
    Wieso weinte sie?
    |393| Ich beobachtete, wie sie ihm entgegenlief. Ich beobachtete seine Augen, die sie beobachteten. Sie blinzelten nicht ein einziges Mal. Seine Pistole schwankte kein einziges Mal.
    »Wo bist du
gewesen
?«, keuchte Candy und blieb vor ihm stehen. »Wieso hast du so lange gebraucht? Verdammt, ich hab auf dich   –«
    »Was tust du?«, knurrte Iggy.
    »Ich hab dich so vermisst.«
    »Du bist abgehauen.«
    »Nein, bin ich nicht   … er hat mich dazu gebracht   … ich wollte das nicht.«
    »Du hast mich in den Dreck gezogen, Schlampe. Du hast mich erniedrigt und verlassen.«
    »Nein«, sagte sie weinend und bewegte sich auf ihn zu – geduckt, bettelnd, kriecherisch. »Nein   … bitte   … ich wollte das alles gar nicht. Joe hat mich dazu gebracht   … er hat mich
ge zwungen
. Ich wollte dir nicht wehtun. Warum sollte ich dir wehtun? Ich brauch dich doch, Iggy   … bitte   … ich
brauch
dich   …«
    Er hielt die Pistole noch immer empor, doch als sich Candy ihm langsam entgegenschob und sich duckte wie ein verwundeter Hund, unternahm er nichts, um sie aufzuhalten. Er schlug sie nicht, als sie tränenreich unter seinen ausgestreckten Arm kroch und ihr Gesicht an seine Brust schmiegte. Er rührte sich nicht, als sie den Arm um ihn legte. Er tat überhaupt nichts. Er brauchte es nicht; er hatte das, was er wollte.
    »Ich sterbe, Ig«, hörte ich sie sagen, während sie mit ihren Händen über seinen ganzen Körper fuhr. »Ich brauch echt   –«
    »Halt die Klappe«, sagte er zu ihr und wandte seinen Blick und den Pistolenlauf mir zu. »Wer ist da im Haus?«
    |394| »Ich brauch nur eine kleine   –«
    Seine Augen bewegten sich nicht, als seine freie Hand niederpeitschte und ihren Kopf an der Seite traf. Sie zuckte zurück, ließ aber nicht von ihm ab.
    »Wer ist da im Haus?«, wiederholte er.
    »Nur der Junge«, sagte sie wegwerfend. »Er ist allein.« Sie rieb sich den Kopf und schaute zu ihm auf. »Bitte, Iggy   … ich brauch
echt
was zum Rauchen. Hast du Stoff dabei?« Ihre Hände fuhren jetzt über sein Hemd. »Bitte   … ich
sterbe
…«
    »Tut’s weh?«, fragte er kalt.
    »Ja   …«
    »Gut. Und jetzt ab in den Wagen. Mit dir rechne ich später ab.« Er wandte den Blick von ihr ab und schwenkte die Pistole in meine Richtung. »Ich hab noch was zu erledigen – ich muss noch einem sein Lachen abkaufen.«
    »Lachst du gern?«, sagte Candy leise.
    Es war die Stimme, die ich vom Bahnhof erinnerte – hell und klar wie ein leuchtender Edelstein in der Gosse   –, nur kälter. Viel kälter. Sie strömte Eis aus, Worte eines Geists, und für einen zeitlosen Moment erfror alles. Iggys Augen, der Nebel, die Nacht   …
    Der Teufel in Candy   …
    Iggys Herz   …
    Sie beide im Mondschein zum Stillstand gekommen.
    Und dann schwang ihre Hand in einem versilberten Bogen nach oben und sie versenkte das Messer in seiner Kehle.

|395| Epilog
    S päter erzählte ich der Polizei, ich könne mich von dem Punkt an, als Candy das Cottage verließ, an nichts mehr erinnern. Von dem Moment an, als sie die Tür aufstieß und hinaus auf die Lichtung lief, bis zu dem Moment, als die Polizei auftauchte, sei mein Kopf leer. Ich könne mich an kein einziges Detail erinnern. Ich bin nicht sicher, ob sie mir glaubten oder nicht – es kümmerte mich aber auch nicht so recht. Alles andere erzählte ich ihnen. Ihre Fragen – was, wann, wer, wo, wie, warum – beantwortete ich immer und immer wieder. Es war nicht schwer. Sie fragten mich, was geschehen war; ich erzählte ihnen, was geschehen war. Sie fragten mich noch einmal,

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