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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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bleiben. Ich nehme an, ich hätte wenigstens versuchen können, das alles der Polizei zu erklären, und vielleicht hätte ich das wirklich tun sollen, aber ich wusste nicht, wie.
    Wie erklärst du, dass das, was in deinem Kopf ist, nicht dir gehört?
    Oder warum du nichts unternommen hast?
    Wie erklärst du, dass du selbst an die Zeit, als du endlich etwas unternommen
hast
, nur Secondhand-Erinnerungen besitzt, Erinnerungen eines anderen   … Erinnerungen eines Jungen in Zeitlupe mit Tränen in den Augen, der zwei Mädchen ins Haus hilft? Wie erklärst du, dass du die Kälte ihrer Haut an seinen Händen spürst, dass du fühlst, wie er die Leiche am Boden ausblendet und stattdessen im Nebel stockschwarze Berge sieht? Dass du seine |399| Zeit vergehen fühlst   … die von ihm wahrgenommenen Details   … heiße Getränke, Decken, Bewegung, Gesichter   … Mike auf den Beinen und wie er Gina anlächelt durch all das Blut   … Mike und Candy   … Mike und der Junge   … Candys Geist   … Mike draußen   … Mike am Telefon   …
    Sirenen, Blaulicht und quietschende Reifen   …
    Die Nachtstreife, die alle fortbringt   …
    Wie erklärst du das alles?
     
    In den nächsten Monaten geschah jede Menge, doch über das meiste möchte ich nicht sprechen. Es war nichts – nur irgendwelcher Kram: Dad-Kram, eigener Kram, noch mehr Polizeikram   … es war sogar eine Weile ein bisschen Mum-Kram dabei, aber der hielt nicht lange an. Nichts hielt lange an. Die Tage vergingen ganz einfach, wie sie das nun mal tun – Tage, Wochen, endlose Monate   –, und allmählich beruhigten sich die Dinge.
    Gina ging es nach und nach besser. Die Ärzte behielten sie ein paar Tage im Krankenhaus, aber die Drogen, mit denen Iggy sie ruhig gestellt hatte, hatten keine bleibenden Schäden verursacht. Nachdem sie erst einmal aus ihrem Körper herausgespült waren und sie Zeit gehabt hatte, sich zu erholen, war sie körperlich wieder wie zuvor. Psychisch allerdings   … na ja, das war etwas anderes.
    Wir redeten viel.
    Wir klammerten uns aneinander.
    Wir saßen viel zusammen und weinten.
    Und wenn ich nicht da war, hatte sie immer noch Mike. Von uns allen war er, glaub ich, am wenigsten angegriffen. Vielleicht hab ich ja Unrecht, vielleicht konnte er seine Gefühle nur besser |400| kaschieren, doch auf mich wirkte er – abgesehen von der Wunde an seinem Kopf – so gut wie unverletzt. Er wischte sich den Staub ab und machte weiter.
    Ich wünschte, ich könnte das Gleiche von mir sagen.
    Ich tat mein Bestes – oder vielleicht tat ich es auch nicht   –, jedenfalls tat ich, was ich konnte, um die Dinge so hinzunehmen, wie sie waren. Aber es war unmöglich. Ohne Candy schien nichts einen Sinn zu haben. Ich wollte sie bloß
sehen
, das war alles   … oder zumindest herausfinden, was mit ihr los war. Doch niemand sagte mir etwas. Das Einzige, was die Polizei preisgab, war, dass sie festgenommen, angeklagt und auf Kaution freigelassen worden sei und dass ich sie nicht sehen durfte, da ich möglicherweise als Zeuge in ihrem Gerichtsverfahren geladen würde.
    Dad war noch weniger mitteilsam. Selbst wenn er wusste, wo Candy war – was ich nicht mit Sicherheit sagen kann   –, er hätte es mir nie gesagt. Er hasste sie. Verachtete sie. Er erwähnte nicht mal ihren Namen. Seiner Meinung nach lag alles, was geschehen war, an ihr. Das Ganze war ihre Schuld – sie hatte mich verführt, sie hatte Ginas Leben aufs Spiel gesetzt, sie hatte seine Familie ins Chaos gestürzt   … und er weigerte sich zuzuhören, wenn ich versuchte, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
    Ich warf ihm das nicht wirklich vor.
    Natürlich hatte er Unrecht   … er war bigott, blind und dumm – aber ich konnte ihm das nicht vorhalten. Jedenfalls nicht für länger. Nicht nach all dem, was er meinetwegen durchgemacht hatte. Er war mein Dad   …
    Und damit basta.
     
    Also wandte ich mich schließlich an Mike um Hilfe. Ich wollte |401| nicht hinter Dads Rücken agieren, doch inzwischen hatte ich Candy beinahe vier Monate nicht gesehen   … und wusste, ich hielt es nicht länger aus. Ich lebte in einem Vakuum. Lebte und starb in meinen Gedanken. Ich dachte an sie, malte sie mir aus, versuchte mich zu erinnern, wie sie war   …
    Das war die ganze Welt, die ich hatte.
    Und sie genügte nicht.
    Ich wollte Candy sehen   … ich
musste
sie sehen.
     
    Ich weiß nicht genau, wie Mike es schaffte – und ich bezweifle auch, dass ich es wissen wollte   –,

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