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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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es sei ein Schwert – ein langes, stumpfes, offenbar sehr schweres Schwert   –, aber fast im selben Moment schoss mir ein Bild durch den Kopf: Candy, sie kommt von Mikes Wagen zurück, schaut überrascht und umschlingt ihren Mantel fest vor der Brust – und im selben Augenblick wurde mir alles klar. Es war kein Schwert, es war die Lenkradkralle. Sie hatte Mikes Lenkradkralle aus dem Auto genommen und sie unter dem Mantel verborgen. Und jetzt hatte sie ihm damit auf den Kopf geschlagen   … ihn außer Gefecht gesetzt   … und er lag da   … rührte sich nicht, gab keinen Ton von sich   …
    Ich sah das Blut auf seinem Kopf   …
    Zu rosa, um echt zu wirken.
    Ich hörte mein Herz.
    Und jemanden, der von draußen rief   …
    Und Candys flache Atemzüge.
    »Was
tust
du?«, sagte ich zu ihr. »Was hast du getan?«
    »Alles in Ordnung«, sagte sie und ließ die Lenkradkralle zu Boden fallen. »Er kommt wieder zu sich. Er ist nicht tot.«
    Ihr Blick war leer und wirr.
    Wieder rief jemand von draußen. Ich warf einen Blick aus dem Fenster und sah, wie Iggy aus dem Wagen stieg   … und auf einmal wusste ich gar nichts mehr. Ich wusste nicht,
wie
ich es wissen |389| sollte. Ich schaute rüber zu Candy. Sie öffnete eine Küchenschublade   … nahm etwas raus   … bewegte sich ohne jedes Gefühl – ging langsam um das Büfett, dann durchs Zimmer, sah mir in die Augen, kam zu mir   … ein Messer mit breiter Klinge in der Hand.

|390| 22.   Kapitel
    I ch tat gar nichts. Ich
konnte
nichts tun. Ich konnte nur dastehen und sie ansehen. Alles ansehen. Ihr Gesicht, ihre Lippen, ihre Wangen, den mandelförmigen Tod ihrer Augen. Ihren Hals, ihre Beine, die Form ihres Körpers. Ihre verschwitzte Haut. Das Schimmern des Messers, ihre versilberte Hand   …
    Gott   … das Messer.
    Sie stand jetzt direkt vor mir, den Blick auf meine Augen fixiert, ihr Gesicht ohne jedes Empfinden.
    Was hätte ich tun sollen?
    Hätte ich etwas tun sollen?
    Hätte ich nichts tun sollen? Ich versuchte etwas zu sagen, aber mein Mund öffnete sich nicht. Ich versuchte logisch zu denken, aber mein Kopf war leer. Das Einzige, was mir blieb, war, Vertrauen zu haben.
    Es ist deine Entscheidung, Candy
, dachte ich.
    Es ist alles deine Entscheidung.
    Von draußen kam ein lautes metallisches Klicken. Candy reckte bei dem Geräusch ihren Hals, blinzelte dann langsam und sah mich wieder an.
    »Bleib hier«, sagte sie. »Schließ hinter mir die Tür ab, dann ruf |391| die Polizei.«
    »Was?«
    Sie hob die Hand und legte einen Finger auf meine Lippen. »Tu’s einfach, Joe   … bitte. Tu’s einfach.«
    Durch die Berührung ihres Fingers zum Schweigen gebracht, blickte ich in ihre Augen und suchte nach einer Erklärung   … oder wenigstens nach so was wie Wahrheit. Es war schwer, etwas zu finden. Da
war
etwas, eine Art Licht im Dunkeln, aber fast zu schwach, um es zu sehen. Es war einfach etwas, ein kaum wahrnehmbares Zeichen, wie eine flackernde Kerze auf einem fernen Hügel   …
    Es war da.
    Ich wusste, dass es da war.
    Ich nickte.
    Candy sagte nichts. Sie nahm ihren Finger von meinen Lippen, beugte sich vor und küsste mich, dann drehte sie sich um und ging zur Tür. Schweigend sah ich zu, wie sie das Messer in ihren Mantel schob und den Lehnstuhl von der Tür wegzog. Ich sah zu, wie sie einen Moment stehen blieb, sich selbst leise etwas zumurmelte, die Tür aufschloss, sie aufriss und hinaus auf die Lichtung rannte.
     
    Ich wusste wirklich nicht, was sie tat, und es gab einen Teil in mir, den es auch nicht weiter kümmerte. Sie tat eben das, was sie tat. Ich hatte damit nichts zu tun. Ich war jetzt außen vor.
    Ich glaube, ich
wollte
, dass es mich kümmerte, aber die Wahrheit lautet: Ich war außen vor. Körperlich, emotional, geistig   … In mir war nichts mehr vorhanden. Ich wusste nicht, was geschah. Ich wusste nicht, wer ich war. Ich wusste nicht, was Candy war. Ich kümmerte mich nicht um Mike   …
    |392| Ich konnte nicht logisch denken.
    Ich konnte nicht handeln.
    Ich konnte mit nichts in Verbindung treten.
     
    Ich schloss die Haustür nicht ab und ich rief auch die Polizei nicht an, ich stand einfach nur am Fenster und sah zu. Alles schien unnatürlich klar: der Mond, der hoch über den Bäumen stand und mit seinem gedämpften Strahlen auf die Lichtung schien wie ein Scheinwerfer, der eine Bühne erleuchtet; der Nebel, der den Boden bedeckte; das von weißlichen Schwaden verhangene Walddunkel; und mitten in all dem Candy,

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