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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Poller, Kreuzungen, noch mehr Pendler, Obdachlose, Verrückte, Hippies mit ausdruckslosem Blick, langen, schmuddeligen Haaren und |11| Schorf im Gesicht   …
    Davon stand nichts im Stadtplan.
    Und ich wollte ihn sowieso nicht aus der Jacke ziehen. Es waren viel zu viele Menschen um mich rum, ich fühlte mich ziemlich uncool – ich stand da wie ein staunender Jockel mit hängendem Unterkiefer und blinzelte den Lichtern und dem Lärm entgegen. Ich hätte nicht deplatzierter wirken können, wenn ich ein schmutziges altes Unterhemd und eine Latzhose angehabt und mir ein Grashalm aus dem Mund geragt hätte   … dazu ein kleines weißes Schwein zu meinen Füßen   … ein kleines weißes Schweinchen an einem abgegrabbelten Strick als Leine   …
    Ich schüttelte das Bild aus meinem Kopf, trat zurück und lehnte mich für einen Moment gegen eine Wand, um mich zu orientieren. Um mir Zeit zu nehmen, um den Gummigestank der Busse einzuatmen, die erstickenden Auspuffgase   … um mich umzuschauen, nachzudenken, mich noch genauer umzuschauen   … schau, schau, schau   … denk, denk, denk   … bis mir endlich dämmerte, was ich tun musste. Es war so einfach, dass ich mir wie ein Idiot vorkam, nicht gleich draufgekommen zu sein. Um herauszufinden, wo ich mich befand, musste ich nichts anderes tun, als zum Bahnhofsgebäude zu gehen – das ich drohend hinter mir gegen den schwarzen Himmel aufragen sah – und mich dann von dort aus auf den Weg zu machen.
    Und genau das tat ich.
    Die Straße vor, dann um eine Ecke rum und da stand ich – auf einem weiten gepflasterten Platz mit Telefonhäuschen und ein paar verstreuten Zeitungsständen, direkt vor dem Bahnhof. Direkt an der Euston Road.
    Ganz simpel.
    |12| Jetzt musste ich nur noch der Euston Road folgen   …
    Doch   … in welche Richtung?
    In diese?
    Oder in die andere?
    Links oder rechts?
    Ich schloss die Augen und versuchte mir den Stadtplan vorzustellen. Ich konnte alle Straßen sehen, aber der Plan lag verkehrt rum. Das Blatt stand auf dem Kopf. Der Bahnhof war auf der falschen Seite der Straße.
Also gut
, sagte ich mir,
wenn die Straße im Vergleich zum Plan verkehrt rum ist, musst du einfach in die andere Richtung gehen. Wenn du auf dieser Seite der Straße bist, was auf der Karte die andere Seite ist, musst du eben anstatt nach rechts nach links gehen.
    Ich machte mich also nach links auf den Weg, doch dann blieb ich wieder stehen und erinnerte mich an etwas – die Karte
musste
auf dem Kopf stehen. Als ich im Stadtplan nachgeguckt hatte, ehe ich von zu Hause losging, hatte ich ihn umgedreht, deshalb lag das Blatt doch richtig rum. Die Karte in meinem Kopf war völlig korrekt. Der Weg, den ich suchte, lag nicht links, sondern rechts.
    Also drehte ich mich um, stieß gegen eine verrückte Alte, die einen Einkaufswagen voller Lumpen vor sich herschob –
jageddabaddagedaahh
–, und ging daraufhin in die Richtung davon, aus der ich gekommen war.
    Aber ich war noch keine zehn Schritte gegangen, als ich wieder stehen blieb. Hatte ich die Karte wirklich umgedreht? Vielleicht doch nicht. Vielleicht hatte ich ja am Anfang Recht gehabt?
    Ich drehte mich halb um, dachte noch einmal drüber nach, wandte mich zurück und war drauf und dran, zum letzten Mal aufzubrechen, als hinter mir eine Stimme rief.
    |13| »Kannst du dich nicht entscheiden?«
    Es war eine Mädchenstimme – hell und klar wie ein leuchtender Edelstein in der Gosse. Sie klang nicht besonders laut – das Mädchen brüllte nicht, schrie nicht   –, trotzdem schaffte es ihr Klang durch das Chaos und traf mein Gehirn wie mit der diamantscharfen Spitze eines Messers. Ich drehte mich um, nahm das Meer der schwammigen Gesichter auf und da stand sie – im Eingang von
Boots
gegen die Wand gelehnt – und lächelte mich an. Es war so ein Lächeln, das einem ein Loch ins Herz reißt – Lippen, Zähne, funkelnde Augen   …
    Gott, konnte sie lächeln.
    Ich tat gar nichts. Ich
konnte
nichts tun. Das Einzige, was ich konnte, war dastehen und sie anschauen. Alles anschauen. Ihr Gesicht, ihre Lippen, ihre Wangen, ihre dunklen Mandelaugen. Ihren Hals, ihre Beine, die Form ihres Körpers. Ihre blasse, helle Haut. Den Glanz ihres kastanienbraunen Haars, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte   …
    Gott   … ihre Haut.
    Sie trug einen kurzen, engen Rock und ein weites, bauchfreies Oberteil, unter dem ein Stück blanke Haut aufblitzte, das mich versteinern ließ. Dann war da noch ihr

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